Weltfriede und Judentum

Das hier vorliegende Friedensmanifest von Rabbiner HEINRICH GALANDAUER sel. A. (Böhmen), das er gegen Ende des 19. Jahrhunderts verfaßte, gibt in allen seinen Grundsätzen und Aussagen "mein" Judentum wieder, wie es einmal war, wie es sein müßte und wie es - mit Gottes Hilfe - wieder einmal werden wird. Dafür allerdings sind wenigstens zwei erhebliche Bedingungen Voraussetzung, die sich im Grunde gegenseitig ergänzen: Die Umkehr der Juden zur wahren göttlichen Lehre, wie sie in dieser hier vorliegenden Schrift so eindrucksvoll geschildert wird und die damit einhergende Zerschlagung aller Aspekte dessen, was in die Geschichte als "Zionismus" Eingang gefunden hat. Wer diesen Text liest, kann spürbar erfühlen und ermessen, welche Menschheitstragödie durch diese grundtief falsche Ideologie entstanden ist. -RJC-

1. Der Wert des Friedens


Wir leben heute in einer Zeit, von der man in Bezug auf den Weltfrieden mit unserem Patriarchen Isaak sprechen kann ועל חרבך תחיה, wo der Friede nur durch das Schwert lebt und geschützt wird. Die meisten Völker Europas stehen bis an die Zähne bewaffnet einander gegenüber. Alles starrt in Waffen, Säbelgerassel und Schwertergeklirr sind die Friedensklänge, mit denen die Welt in Ruhe eingelullt wird. Der Militarismus, die Soldateska, die materielle Macht, die körperliche Stärke die gewalttätige Überlegenheit bilden die Bedingungen, durch die der Staat mit all seinen kulturellen und zivilisatorischen Errungenschaften gesichert wird, durch die die Kunst, die Wissenschaft, die sittliche und irdische Wohlfahrt in der Gesellschaft geschützt und liebevoll behütet werden. Welch ein Widerspruch! Welch ein Widersinn, das Lämmchen von dem Löwen beschützen zu lassen! Das sind so die Extreme der heutigen Zeit, in der man mit dem wütendsten Rassenhaß die christliche Liebe am besten zu betätigen vorgibt. Aber Extreme berühren bekanntlich einander, und so ist es recht erklärlich, daß das immerwährende Pochen auf die rohe Gewalt, das stete Hinweisen auf das Faustrecht das Extrem hervorbrachte, welches die Frucht der internationalen Friedensvereine zeitigte.

Diese Friedensvereine haben den Zweck und das Ziel, daß die Fehden und Streitigkeiten der Völker und Staaten nicht wie bisher durch den mörderischen Kampf, durch Massenmord, der selbst im Siegesfalle unendlichen Jammer und unermeßliches Unglück im Gefolge hat, entschieden werden sollen, sondern daß nach Selbstentwaffnung der zivilisierten Staaten künftighin internationale Schiedsgerichte mit der nötigen Autorität und Machtbefugnis ausgestattet werden, welche die Aufgabe haben unter den Völkern Recht zu sprechen und deren Machtspruch sich alle Staaten unbedingt zu beugen haben. Das hieße an Stelle der Gewalt die Gerechtigkeit, an Stelle der Grausamkeit die Menschlichkeit, an Stelle der körperlichen Kraft die Vernunft setzen. Von diesem Standpunkte aus betrachtet, wäre die Sache ganz einleuchtend und die Einsetzung solcher Schiedsgerichte nur wünschenswert. Aber es wird dem entgegengehalten, daß der Krieg eine Naturnotwendigkeit sei, vor der die Stimme der Vernunft und des Gefühls verstummen muß. Kampf ist das Grundgesetz in der Natur, wodurch alles Bestehende sich entwickelt, wird, ist und dann zu anderem Sein übergeht. Dieser Kampf ist unablässig, ewig, unendlich, ohne den nichts Werdendes zu denken ist. Das Stärkere behauptet sich an Stelle des Schwachen und ordnet es sich unter, die Gewalt entscheidet und siegt in der Natur. Mag das Schwache noch so sehr im Rechte sein, sie fragt nicht danach und schreitet über alles hinweg ihrem Ziele zu. Dieses Naturgrundgesetz waltet in allem Sein, in allem Existierenden und Bestehenden und folglich auch in dem Menschen und es ist unzertrennlich mit ihm verbunden, weshalb auch nicht anzunehmen ist, das die Mächtigeren in ihrer großen Mehrzahl auf ihr Naturrecht je verzichten und den Schwachen freiwillig sich gleichstellen würden, und deshalb wird der Krieg nie aufhören unter den Menschen und alle die entgegengesetzter Meinung sind, sind nur ideale Schwärmer, Fantasten, welche sich durch ihre Gefühle den klaren Einblick in die Wirklichkeit trüben lassen. So wird im "Kriegslager" behauptet.

Thora und Bibel denken anders. Nach ihnen ist der Mensch etwas mehr als Stein, Gewächs, Lebendes. Er ist etwas mehr als ein bloßes Naturprodukt, in welchem nichts anderes als rohe Naturgesetze herrschen und walten. In ihm leuchtet das Licht Gottes, Gottes Ebenbild strahlt in seiner Seele und gottähnlich ist seine Vernunft, sein moralischer Wille. Die Vernunft aber will auch naturgemäß das Recht, die Gerechtigkeit, die sittliche und materielle Entwicklung und darum will sie auch den Frieden. Den Frieden in der Gesellschaft, den Frieden im Staate, den Frieden in der Welt. Ihr ist der Weltfriede keine Chimäre, kein ideales Fantasiegebilde, sondern ein Naturgesetz der menschlichen Vernunft und des menschlichen Gefühls, und sobald es der Menschheit gelungen sein wird, daß dieses Naturgesetz in ihr über die tierische Gewalt den Sieg erringt, dann wird auch der Weltfriede zur Tatsache, zur Wirklichkeit werden. Und weshalb soll dies denn gar so unmöglich sein? Im Naturzustande, noch ehe es unter den Menschen Staaten und Gesetze gab, da hatte der Starke das Recht, mit dem Schwachen zu tun, was er wollte, und die Staatenbildungen und die Gesetze hatten keinen anderen Zweck, als daß die Menschen in Frieden beisammen wohnen können. Das hatte das Vernunftgesetz über das Naturgesetz vermocht. Nun fragen wir, warum soll das, was die Vernunft im Staate selbst durch die Gesetze vermag, nämlich den Frieden unter den einzelnen Gliedern desselben herzustellen, nicht auch unter den verschiedenen Staaten möglich sein? Freilich kann man dem entgegnen, daß gar viele im Staate nur deshalb mit dem Nächsten in Frieden leben, weil sie es müssen, weil sie dem Zwang, der Gewalt der Gesetze sich beugen, aber wir wissen, daß gar Viele von ihrer Macht, die sie über Andere besitzen, keinen Gebrauch machen, nur aus dem Grunde, weil sie in Frieden leben wollen oder weil es ihr Gewissen so will. Der Hang im Menschen zum Frieden hat die Gesetze im Staate geschaffen und er ist mit der vernünftig-menschlichen Natur ebenso unzertrennlich verbunden, wie der Hang zur Gewalt mit dem unvernünftigen rohen Naturmenschen. Die biblischen Gesetze sind daher hauptsächlich auf den Frieden in der Gesellschaft gerichtet, sie wollen den Sieg der Vernunft, die Menschenverbrüderung herbeiführen. Ein Hauch des Friedens durchweht sanft und mild die Gotteslehre, der Geist des Friedens schwebt über ihren Satzungen, sie predigen friedliches Zusammmenleben, Menschlichkeit, Humanität, Liebe, Barmherzigkeit, Nachsicht, Versöhnlichkeit, Duldsamkeit. Die Naturmacht läßt den Menschen herabsinken zum Tiere, zur wilden Bestie, die Macht der Vernunft erhebt ihn zur Gottheit empor.

Die größten Denker aller Zeiten glaubten an den endlichen Sieg der menschlichen Vernunft und glaubten daher auch an eine Zeit, wo die physische Stärke nicht mehr unter den Völkern den Ausschlag geben wird, sondern das Recht und die Gerechtigkeit. Wem ist nicht folgender Ausspruch David Hume's über den Krieg bekannt, den er als den größten Widersinn betrachtet: "Wenn ich jetzt die Nationen im Kriege gegeneinander begriffen sehe, so ist es, als ob ich zwei besoffene Kerle sähe, die sich in einem Porzellanladen mit Prügeln herumschlagen. Denn nicht genug, daß sie an den Beulen, die sie sich wechselseitig geben, lange zu heilen haben, so müssen sie hinterher noch all den Schaden bezahlen, den sie anrichteten."

Daß der Krieg bisher bestanden hat und noch lange bestehen wird, ist gar nicht Wunder zu nehmen. Mag noch so sehr die Einsicht sich dagegen sträuben, der Irrtum wird doch immer die lautesten Wortführer und die kühnsten Verfechter finden, die ihn nicht nur rechtfertigen, sondern sogar als die größte Notwendigkeit hinstellen. Sagt doch auch Hippel in diesem Sinne: "Jeder Irrtum hat seine Schule, sein Auditorium. Keiner kann so übertüncht werden, als die Idee vom Kriege. Wahrlich, ein übertünchtes Grab." Vom Grafen Moltke werden über den Krieg folgende Worte zitiert: "Glücklich werden die Zeiten sein, wo die Staaten nicht mehr in der Lage sein werden, den größten Teil aller Einnahmen bloß auf die Sicherheit ihrer Existenz zu verwenden, sondern auch die Völker und Parteien sich überzeugt haben werden, daß selbst ein glücklicher Feldzug mehr kostet, als er einbringt, denn materielle Güter mit Menschenleben zu erkaufen, kann kein Gewinn sein. Aber was diesem Fortschritt der Menschheit entgegensteht, das ist das gegenseitige Mißtrauen, und in diesem liegt eine stete und große Gefahr." So spricht die bessere Erkenntnis eines der größten Feldherrn des vorletzten Jahrhunderts.

Ja, das "gegenseitige Mißtrauen" ist es, welches die Gefahr bildet, weil der Eine von dem Andern fürchtet, daß der Naturtrieb und nicht die Vernunft die Oberhand bei ihm gewinnen könnte und es dadurch zum Kampfe käme. Würde man den göttlichen Teil im Menschen sprechen lassen, so müßte man den Krieg erkennen, als das, was er in Wirklichkeit ist: als Mord, als Raub, als der entsetzlichste Gräuel, den das Menschengeschlecht kennt.

"Wenn man auf einer entfernten Insel", sagt Lichtenberg, "einmal ein Volk anträge, bei dem alle Häuser mit scharf geladenen Gewehren behängt wären und man beständig des Nachts Wache hielte, was würde ein Reisender anderes denken können, als daß die ganze Insel von Räubern bewohnt wäre? Ist es aber mit den europäischen Reichen oder Amerika anders? Man sieht hieraus, von wie wenigem Einfluß die Religion auf den Menschen ist, oder wenigstens, wie weit wir noch von einer wahren Religion entfernt sind.

Im Folgenden nun wollen wir sehen, welche Grundsätze unsere Religion hinsichtlich des Friedens in der Gesellschaft und des allgemeinen Weltfriedens lehrt.

Unsere Religion dokumentiert sich in Bibel und Talmud als Friedensreligion. Der Kern derselben ist Liebe, Eintracht, Beseitigung aller Zwietracht, allen Streites. "Ihre Wege sind liebliche Wege, ihre Pfade alle sind Pfade des Friedens."

Gleich die Schöpfungsgeschichte zeigt die friedlich ordnende Hand Gottes, dessen Geist über den Wassern schwebt. Hier findet sich keine Spur von Titanenkämpfen, von Elementen, die einander besiegen, von gewaltsamen Umwälzungen, wie die meisten antiken Völker von der Weltschöpfung annahmen, hier waltet nur der Friede. Jede Störung desselben und selbst die geringfügigste, ja selbst die ersprießlichste, wird als heillos betrachtet. Warum, sagt der Midrasch, heißt es nicht beim zweiten Schöpfungstage כי טוב, "daß es gut sei"? Weil am zweiten Tage die erste Scheidung sich vollzog, denn so heißt es auch, "und es sei eine Unterscheidung zwischen Wasser und Wasser." Wenn nun ein Streit, der zum Wohle und zur Verbesserung der Welt sich vollzieht, als unheilvoll, als nicht gut erkannt wird, umsomehr ein Zwist, der zum Zerstören hervorgerufen wird (Midrasch Rabba 4). Von den Erbauern des babylonischen Turmes sagt Gott: Ich will Friede und Eintracht in der Welt, und diese Bösen stehen nun auf um Empörung zu stiften (Tanchumah, Noah). Die Friedfertigkeit unseres ersten Stammvaters Abraham seinem Bruderssohn Lot gegenüber, sein versöhnlicher Sinn, den er bekundet, als er für die Sünder Sodoms zu Gott um Schonung fleht, sein Vorgehen bei dem Kauf der Höhle Machpela von Ephron (Hebron), seine Handlungsweise dem Könige von Sodom gegenüber, als er, um seinem Verwandten Lot beizustehen, zu einem Kampfe gegen die vier Könige genötigt wurde und sie dann besiegte, all das zeigt den versöhnlichen Geist in diesem Patriarchen, die Neigung zum Frieden. Auch Isaak ist von demselben Geiste erfüllt. Er wich jedem Streite aus. Die Brunnen, die einst sein Vater gegraben, schütteten die Philister wieder zu. Als er sie wieder öffnen ließ, stritten dagegen die Hirten Gerar's und sprachen: "Uns gehört das Wasser", Isaak aber ließ sich in keinen Streit ein, wich friedlich aus und versuchte so lange dem Hader aus dem Wege zu gehen, bis er endlich Wasser fand, das ihm niemand mehr abstritt. Das tat Isaak, obwohl der König dieses Landes zu ihm sagen konnte, "du bist mächtiger als wir."

Aus Friedfertigkeit gab Jakob dem Esau reiche Geschenke, aus Versöhnlichkeit verneigte er sich tief vor dem Bruder. "Jakob nahm den zehnten Teil seiner Herden und gab es dem Esau. Da rief Gott ihm zu: "Jakob! Du entweihest ja den heiligen Zehent? Er aber antwortete: ich muß den Bösewicht versöhnen, damit er mich nicht umbringe". Daraus ersehen wir, man muß aus Friedensliebe, in dieser Welt gar oft sich sogar mit den bösen Menschen halten (Jalkut, Wajischlach). Jakob zürnte auch in strengen Worten über seine beiden Söhne Simeon und Lewi, weil sie in gewalttätiger Weise die Ehre ihrer Schwester Dina rächten und den friedlichen Ausgleich mit Sichem außer acht ließen.

Das Heiligste, was wir besitzen, der Altar Gottes, unsere Gottesverehrung, unsere Gebete, der Priestersegen, sie haben alle den Frieden zum Ziele.

Man durfte den Altar nicht messen mit einem eisernen Maße, weil dieser dadurch entweiht wäre, wenn er mit dem Eisen in Berührung käme, denn das Eisen ist bestimmt die Tage des Menschen zu verkürzen, während der Altar bestimmt ist die Lebenszeit des Menschen zu verlängern (Midoth 3).

"Und er (Gideon) nannte ihn (den Altar): der Herr ist der Friede." Darauf sagen unsere Weisen: Wenn der Altar, der doch kein lebendes Wesen ist und der nur zu dem Zwecke erbaut wurde, damit Israel seine Sühnopfer darauf darbringe, der Frieden genannt wird, umsomehr der Mensch, der friedliebend ist, dem Frieden nachstrebt, mit friedlichem Gruße jedem nahekommt und Frieden und Versöhnung stiftet zwischen Israel und seinem himmlischen Vater, umsomehr, daß dieser würdig ist, der Friede genannt zu werden (Aboth di R. Nathan 16).

Der Friede ist von solcher Wichtigkeit für uns, daß alle unsere Gebete, unsere Benedeiungen, unsere Segnungen mit dem Worte Scholaum - Frieden, endigen. Wer die Wissenschaft ehrt, wem die kulturelle Entwicklung der Menschheit am Herzen liegt, der muß auch den Frieden lieben, diejenigen aber, die dem Kriege und dem Unfrieden das Wort sprechen, verfolgen nur damit ihre persönlichen Interessen, oder die Interessen des engeren Vaterlandes. Der Sieg der Wissenschaft ist der Sieg der Vernunft und der Sieg der Vernunft fördert den Frieden in der Welt. Darum sagt auch der Talmud: "Die Gelehrten und Weisen fördern den Frieden in der Welt" (Berachoth 63b). "An Frieden reich sind die, welche Deine Lehre lieben" (Psalm 119).

Der Wert des Friedens ist so hoch, daß er der Inbegriff des Segens ist und die ganze Gotteslehre hat nur den Zweck ihn zu verbreiten und zu festigen (Gittin 59b). Gott fand kein Wort, das so alle Segnungen in sich faßt, um Israel damit zu segnen, als den Frieden, denn so heißt es auch: "Der Herr verleiht seinem Volke Macht, der Herr segnet sein Volk mit Frieden." Selbst der heiligste Name Gottes durfte bei Ausübung des Sota-Gesetzes des Friedens wegen im Wasser verlöscht werden, was sonst strengstens verboten ist (Mackoth 9b). Groß ist der Friede bei Gott, denn selbst wenn man dem Götzendienste huldigt, kann die Menschen doch keine Strafe dafür treffen, sobald sie nur in Frieden miteinander leben (Midrasch Rabbah 38).

Wer Frieden stiftet zwischen Mann und Frau, zwischen dem Einen und seinem Nächsten, zwischen Stadt und Stadt, zwischen Volk und Volk, zwischen Regierung und Regierung, zwischen Familie und Familie, der ist sicher, daß Gottes Strafe ihn nie treffen wird (Mechilta Jithro). Der ganze Opferkultus im jerusalemitischen Tempel hatte ebenso wie die Thora selbst nur den Frieden zu Ziele, wie aus folgendem hervorgeht: Die Völker fragten einst den Bileam, weshalb hat Gott nur den Israeliten befohlen, daß sie ihm Opfer darbringen sollen, uns aber nicht? Und Bileam antwortete ihnen: Der Zweck der Opfer ist nur des Friedens wegen, wer daher die Thora empfangen hat, die den Frieden lehrt, der allein ist verpflichtet, Opfer darzubringen (Tanchuma Zaw.). Der Friede ist eines von den drei Dingen, wodurch die Welt besteht: Auf Wahrheit, Recht und auf dem Frieden (Aboth 1).

Durch den Frieden hebt sich der Wohlstand, gedeihen die höchsten Güter der Welt, blühen Handel und Gewerbe und er ist das für die Menschheit, was die Hefe für den Teig bedeutet (Perek Hascholaum). Wenn sich Gott als Schöpfer des Weltalls, als Herrscher und ehrfurchtgebietender König bekundet, so nennt Er sich ebenso mit Recht auch den Schöpfer des Friedens, denn so heißt es auch: Er schuf das Licht und die Finsternis, Er macht den Frieden (Jesaja 45:7). Die Herrschaft und die Ehrfurcht sind bei Ihm, Er schaffet Frieden in Seinen Höhen (Hiob 25:2).

Wir erkennen aus diesen Stellen den hohen Wert und die erhabene Bedeutung, welche in Bibel und Talmud dem Frieden beigemessen wird. Wer friedfertig ist, handelt im Sinne unseres Gottes, nach dem Willen unserer Lehre, denn für sie ist der Friede das wahre Heil, der Förderer der Tugend und der Glückseligkeit, der Lohn der Frommen und Edlen, weil ohne Frieden keine Liebe, keine Humanität, keine Barmherzigkeit, kein Edelsinn zur Betätigung und Entfaltung gelangen können. Wie herrlich spricht der Prophet diesen Gedanken in den Worten aus: "So spricht der Herr, der Heilige Israels, durch Ruhe und Gelassenheit allein ist euch geholfen, in der Sicherheit und Friedfertigkeit besteht eure Macht, ihr aber wollet es nicht und sprechet, nein, wir wollen lieber auf Rossen fliehen. Die Frucht der Tugend wird der Friede sein und der Nutzen der Gerechtigkeit ist die friedliche Sicherheit bis in Ewigkeit (Jesaja 30 u. 32). Dem Frevler wird Unfrieden, dem Gerechten aber Frieden zuteil (Jesaja 48, 22), denn Tugend und Friede sind innig miteinander verbunden, sie küssen sich gleichsam gegenseitig (Psalm 85, 11).

Nachdem wir nun bisher die hohe Wichtigkeit des Friedens dargetan haben, wollen wir im Weiteren zu erörtern suchen, wie der häusliche und gesellschaftliche Frieden in Thora und Talmud zur heiligsten Pflicht gemacht werden.


2. Der häusliche und gesellschaftliche Friede


Die Familie ist der Staat im Kleinen. Zur Erhaltung des gesellschaftlichen Friedens im Staate, ist Eintracht, Versöhnlichkeit und Vermeidung von Zwistigkeiten in der Familie unerläßlich notwendig. Darum wird auch שלום בית der häusliche Friede in Bibel und Talmud für so hoch und bedeutungsvoll gehalten. Er ist die Quelle der Zufriedenheit, der Behaglichkeit, des wahren irdischen Glückes und es ist erwiesen, daß Menschen, die innerlich zufrieden sind, eher auch nach außen hin mit aller Welt in Harmonie und Einklang leben. Ohne Frieden kann man in den besten Verhältnissen seines Daseins nicht froh werden. Man mag zu essen und zu trinken haben und alle seine Bedürfnisse befriedigen können, wenn kein Friede ist, ist alles ohne Wert (Midrasch Rabbah z. Bechukaussei). Wo aber Frieden herrscht zwischen Mann und Frau, dort weilt auch die Gottheit mit Liebe. Damit in der Familie Einmütigkeit walte, muß jeder auch bestrebt sein für den nötigen Bedarf seines Hauses zu sorgen, denn Mangel und Entbehrungen führen gar leicht zu häuslichem Zwist und Streit (Baba Metziah 58b). Freilich sind in jedem Hause die Bedürfnisse mannigfach und verschieden. Was bei dem Einen als Überfluß gilt, hält der Andere für notwendig, aber um das häusliche Glück nicht zu trüben, durch unerschwingliche Anforderungen an das Leben, ist es angezeigter und nützlicher, keine großen Ansprüche zu machen, genügsam und bescheiden zu sein, denn "es ist besser eine Hand voll in Ruhe und Frieden", als beide Hände voll Verdruß und Kränkung zu genießen (Kohelet 4). Nichts entschädigt so für die Mühen und Sorgen des Daseins als das friedliche, glückliche Zusammenleben mit seiner Frau (daselbst 9). Darum soll auch der Mensch die Ehre seiner Frau hochhalten, denn sie ist die Ursache alles Segens im Hause (Baba Meziah 58a). Wer seine Frau liebt, wie sich selbst und sie ehrt und hochschätzt mehr als die eigene Person, von dem heißt es, Du kannst versichert sein, daß in Deinem Zelte stets nur der Friede sei (Jebamoth 62b). Der Mann ist in seinem Hause das, was der König für den Staat bedeutet, deshalb wird der, welcher den Frieden in seiner Familie aufrechtt erhält, gleichsam als Friedensstütze im Staate betrachtet (Aboth die R. Nathan 28). Die Einigkeit in der Familie ist demnach von großem Einfluß für die Einigkeit in der Familie der Menschheit.

In welcher Weise sich der gesellschaftliche Friede bekunden soll, beweisen folgende Stellen: Der allgemein übliche Gruß im Hebräischen lautet: "Friede sei mit Dir." Mit dem Friedensgruß soll man nicht erst warten, bis man ihn von dem Nächsten schon empfangen hat, sondern man soll jedem Begegnenden, von dem man weiß, daß er zu grüßen pflegt, mit demselben zuvorkommen (Berachoth 6b). In diesem Sinne sagt auch der Psalmist: "Suche den Frieden und strebe ihm nach." Von Rabbi Jochanan ben Sakkai wurde erzählt, daß ihm nie ein Mensch mit dem üblichen Gruß zuvorgekommen sei, und daß er selbst den ersten besten Heiden auf der Straße immer zuerst zu grüßen pflegte (Berachot 16b). Wer den Frieden liebt und ihn fördert, mit Frieden jedem entgegenkommt und den Gruß freundlich erwidert, den belohnt Gott in dieser und in der künftigen Welt.

Abajah hatte sich folgenden Grundsatz zum Prinzip gemacht: Verkehre friedlich mit deinem Bruder, mit deinen Verwandten und mit Jedermann, selbst mit Verehrern und Anbetern von Sternen und Planeten, damit Du geliebt werdest im Himmel oben und angenehm seiest unter den Menschen unten (Berachoth 16,2).

Da die Persönlichkeit und die Einigkeit in der Gotteslehre von der höchsten Bedeutung sind, so gehört es auch zu dem hervorragendsten Beruf des geweihten Priesters, des geheiligten Gottesdieners, allenthalben Frieden zu stiften. Deshalb wird auch bei dem ersten Hohepriester, Aron, keine andere Tugend so viel gerühmt als seine Liebe zum Frieden. Als Aron starb, da beweinte ihn das ganze Haus Israel. Hierzu bemerkt Raschi: es betrauerten ihn die Männer und auch die Frauen, weil Aron friedlich, versöhnend und einigend wirkte zwischen Streitenden und zwischen Mann und Weib (Sanhedrin 6b). Dieser Vater des Priestergeschlechts wird nicht nur jedem wahren Priester Gottes als edles Vorbild hingestellt, sondern als Lehrer für jeden anempfohlen und es ist geboten sich in liebevoller Friedfertigkeit als Arons Schüler zu erweisen (Aboth 1).

Von den Tugenden, deren Früchte man im diesseitigen Leben genießt und deren ewige Belohnung im Jenseits erfolgt, ist eine davon das Friedenstiften zwischen Menschen und Menschen (Peah 1).

Wo der Friede waltet, kann man sogar des Rechtes entbehren, denn das Recht in Anspruch zu nehmen, wird erst dann zur Notwendigkeit, wenn der Friede gestört wird (Sanhedrin 6b) und der Förderer der Tugend und der Gerechtigkeit wird dadurch zum Förderer des Friedens (Aboth 1). Das beweist uns auch folgende Midraschstelle: Der Arme, wenn er sich unglücklich und gedrückt fühlt, hadert oft mit dem Geschick und klagt die göttliche Vorsehung an; wenn dann aber ein Wohltäter kommt, der ihn unterstützt und sein Gemüt aufrichtet, so versöhnt er ihn gleichsam mit Gott und stellt den Frieden her zwischen ihm und seinem Schöpfer. So hat die Tugend den Frieden zur Folge (M. Neelam Ruth).

Der Frieden selbst ist eine hohe Tugend und er wird als solche angerechnet, wenn auch dabei keine andere Wohltat geübt wird, denn wenn man nur einem Ankommenden freundlich entgegengeht und ihm den Friedensgruß spendet, wird es als so verdienstlich angesehen, als wenn er ihm Speise und Trank verabreicht hätte (M. Neelam Lech Lecho). Um Einigkeit und Frieden in der Gesellschaft zu erzielen, muß sich die Wohltätigkeit auch auf alle Glieder derselben erstrecken und darf sich nicht auf einzelne Teile beschränken. Deshalb ist man verpflichtet, die Unterstützung der Armen, die Pflege der Kranken, die pietätvolle Beerdigung der Toten bei den Heiden in derselben liebevollen Weise zu üben, wie bei den Israeliten (Gittin 61a).

Zu dem Priestersegen, welcher mit den Worten schließt: "Und Er (Gott) verleihe dir Frieden", bemerken unsere Weisen: Friede sei bei deinem Eingang, Friede bei deinem Ausgang, Friede halte mit Jedermann (Jalkut Nossau). Der Segen, womit Gott Israel segnet, ist der Friede (Megilah 7b). Wer seine Nachbarn liebt und gegen seine Verwandten liebevoll sich zeigt, von dem sagt der Prophet: "Wenn du Gott anrufest, so wird er dich erhören" (Jebamoth 62b). Um jedem Streit bei den Ehrenbezeugungen in der Synagoge aus dem Wege zu gehen, haben unsere Weisen die Verordnung getroffen, daß zuerst ein Kohen (aus dem Geschlechte Arons), dann ein Levite, dann ein Israelite zur Thora gerufen werden (Gittin 59b).

Des Friedens wegen soll man nie eine Ausnahme machen von der Gesamtheit und sich in deren Sitten und Bräuchen fügen, wenn dies nicht mit dem Gottesgebote oder mit der Moral im Widerspruch ist. Von Moses heißt es, als er zu Gott auf den Sinaiberg aufstieg, um die Bundestafeln zu empfangen, da aß er und trank nichts volle 40 Tage lang, die drei Engel aber, welche als Gäste zu Abraham kamen, schienen als ob sie bei ihm äßen (Baba Metziah 83a). Aus Rücksicht für die Einigkeit und Gleichheit haben hier sowohl Moses, wie die Engel Gottes ihre Gewohnheit geändert, denn auch die Gottheit selbst ändert ihren Ratschluß um des Friedens willen (daselbst). Dasselbe finden wir auch bei den Brüdern Josefs. Die Söhne Jakobs, von denen hervorgehoben wird, daß sie ehrlich, aufrichtig und offenherzig waren, und daß sie deshalb nicht mit Josef freundlich verkehren konnten, weil sie אחר בפה ואחר בלב waren, weil sie nicht anders sprachen, als sie dachten, dieselben griffen dann des Friedens halber zur Notlüge, indem sie Josef sagen ließen, der Vater habe vor seinem Tode befohlen, daß er ihnen nicht vergelte, was sie ihm getan haben und sie nicht hassen möge. Die Grundlage aller Gottesgebote ist der Friede, alle Lehren und Worte, die Gott an Moses richtete, enthalten nur Versöhnlichkeit und Liebe, sie künden Seine Gnade, Seine Allgüte. Als die Stifshütte aufgerichtet und vollendet dastand, ging Moses hinein und hörte Lobes- und Verherrlichungstöne erschallen. Da sprach Moses: "Ich muß doch aufhorchen, was der Herr sprechen wird. Da rief Gott ihm zu: Nichts als Friede will ich verkünden, nichts anderes habe ich im Sinne mit meinen Kindern als den Frieden (Tanchumah Nossau). Darum wird die Lehre des Friedens auch nur den Friedfertigen zuteil und wo die Eintracht fehlt, hat auch die Friedenslehre keinen Bestand

3.  Versöhnlichkeit und Liebe


Versöhnlichkeit und Liebe! Worte, die im heutigen Staatenleben nur leere Begriffe geworden sind. Allenthalben Vorurteil, Unduldsamkeit, Nationalitätenhader, Rassenkampf, Eigendünkel, Beschränktheit, Hetze, Zank und Streit, Haß, Neid und Mißgunst. Wie sollen sich da die Kinder des einzigen Gottes, des Allvaters, vereinigen, einträchtig und einmütig zusammenzuleben? Armes Menschengeschlecht! Was bedeuten dein Fortschritt, deine Kultur, deine vielgerühmten Eigenschaften alle, wenn im tiefsten Frieden ein Krieg herrscht, der unendlich unheilvoller ist, als der Kampf auf offenem Felde, wenn ein Volk gegen das andere aufreizt, ein Volksstamm gegen den andern wütet, eine Religionsgenossenschaft gegen die andere die Faust erhebt und die eine Rasse die andere in ihrem Bestand bedroht? "Kinder seid ihr dem Herrn, Eurem Gotte" (Deuteron. 14:1). "Hasse deinen Bruder nicht im Herzen" (Leviticus 19:17). "Sei nicht rachsüchtig, bewahre nicht den Haß, liebe deinen Nächsten wie dich selbst" (daselbst 19). Wo werden diese goldenen Lehren in Wirklichkeit betätigt? Wo waltet heute der Geist der Einigkeit, der Versöhnlichkeit, der Liebe? Wo nicht Interessengemeinschaft herrscht, dort ist Zerklüftung, Zwietracht, tödliche Feindschaft, die Kinder der großen Menschenfamilie sind entzweit, und der Genius der Welt verhüllt schamerfüllt sein Antlitz. Geschwunden ist der Friede, die bösen Geister sind entfesselt, grauenvolle Gespenster erheben ihr Haupt, die Verwilderung nimmt täglich überhand, pestartig zieht der Haß durch die Lande der Zivilisation, alles verheerend, vernichtend, das bedauernswerte Menschengeschlecht in den tiefsten Abgrund hinabziehend. Wie soll das enden?

"Gehe nicht als Verleumder umher unter deinem Volke" (Leviticus 19:16) befiehlt unser himmlischer Vater, und Priester und Volksvertreter hetzen und reizen auf in Vereinen und Versammlungen im Namen des allliebenden Gottes eine Konfession gegen die andere, lügen und verleumden, schwören falsche Eide und verdrehen das Recht, um das Volk irre zu führen. "O, mein Volk, die welche dich glücklich machen sollten (die Führer) führen dich in die Irre!"

Unsere Zeit ist gar wenig geeignet, der Versöhnlichkeit und Liebe ein Ohr zu leihen, sie werden wohl in gar schönen Worten gepredigt, aber zu welchem Zwecke? Zur Unversöhnlichkeit und Lieblosigkeit. Wenden wir uns daher ab von diesem so häßlichen Zeitbilde und hören wird, was Bibel und Talmud lehren über die Versöhnlichkeit, und wenn wir auch nicht erwarten, daß die "Lehren der Liebe" unserer Thora bei unsern Widersachern Anklang finden werden, so wollen wir uns jetzt nur deshalb mit denselben beschäftigen, um darzutun, von welchem Geiste des Friedens und der Liebe, der Versöhnlichkeit und der Duldsamkeit die jüdische Religion erfüllt ist, in deren Lichte wir wandeln.

Sei versöhnlich gegen deinen Feind. "So du siehst seinen Ochsen oder seinen Esel herumirren, bringe ihn dem Eigentümer wieder zurück" (Exodus 23:4). "Haß erwecket Hader, Liebe verhüllt alle Sünden" (Sprüche 3:18). "Wohlwollen fördert die Liebe, wer Böses anstrebt, den erreicht es" (daselbst 11:27). "Nur durch Sanftmut begegne dem Grimmigen" (daselbst 15). "So dein Feind fällt, freue dich nicht; strauchelt er, so laß dein Herz nicht frohlocken" (daselbst 29:17). Tue Gutes deinem Hasser, überschütte ihn mit Wohltaten; er sieht dann, daß du edler bist als er und vor Beschämung wagt er es kaum, dir ins Antlitz zu schauen. "Hungert dein Feind, so gib ihm Brot, dürstet er, so reiche ihm Wasser, du schüttest damit Kohlen auf sein Haupt und der Herr belohnt dich" (daselbst 25, 22, 23). "Wenn dein Wandel wohlgefällig bei Gott sein soll, so herrsche auch Frieden zwischen dir und ihm" (daselbst 10). Laß dich fluchen, mit Steinen bewerfen, wie es sich König David von Schimei, dem Binjamiten, tun ließ und der trotzdem den Feldherrn Abischai abhielt, Saul das geringste Leid zuzufügen. Sprich mit dem Propheten Jesajas: "Ich gebe meinen Rücken den Schlägern, meine Wange den Raufern preis, und verberge mein Angesicht nicht vor ihrem Gespötte und Gespei" (Jesaja 50:6, 7). "Fördert das Wohl eurer Unterdrücker, arbeitet und strebet für den Aufschwung der Stadt, wohin ihr in Gefangenschaft zieht, betet für ihre Einwohner zum Herrn, denn bei ihrem Wohle ist auch euch wohl" (Jeremia 29:7). So sei euer Benehmen im Feindesland, umsomehr daß man für das Gedeihen der Stadt, des Landes alle seine Kräfte einsetzen muß, in deren Mitte man als vollberechtigter Bürger lebt, wenn auch einzelne Gruppen eure Rechte einzuschränken bemüht sind und euch feindlich gegenüberstehen.

Wie sittlich hoch steht der Mensch, der beim Erleiden des schwersten Unrechtes nicht in Zorn gerät, der ohne Entrüstung auf sein gutes Recht zu verzichten vermag; er ist der wahre Liebling Gottes (Pessachim 109a). Wer in seiner Ehre verletzt, tief gekränkt wird und die schmählichste Beleidigung anhört, ohne den Mund aufzutun zur Erwiderung, wie moralisch erhaben ist der in seinem schuldlosen Selbstbewußtsein! Er überstrahlt der Sonne gleich alle seine Verleumder und die Verunglimpfer seiner Person (Schabboth 88b).

Die größte Unbill lasse dir zufügen, das schwerste Unglück lasse lieber über dich ergeben, dulde alles, ertrage und leide, nur hüte dich, deinen Nächsten öffentlich zu blamieren, zu beschämen (Sotah 8b), denn wer das Blut des Menschen im Menschen vergießt (denn er treibt dem Menschen die Blutwelle zuerst in das Antlitz, aus welchem sie dann jäh wieder zurückweicht), ist derjenige, der ihn öffentlich beleidigt (Baba Meziah 58a).

Mache keinen Unterschied zwischen Menschen und Menschen. Fragt denn Gott erst nach deiner Herkunft, oder die Gotteslehre nach deiner Abstammung, um dir dein Recht als Mensch zu geben? Eitler Erdensohn! Wie vermagst du dich zu überheben gegen deinen Nächsten, weil du angeblich von hoher Abkunft, von edlerem Geschlechte, von einer anderen Rasse abstammst? "Siehe, alle Seelen sind mein" (Ezechiel 18:4) spricht der Herr. "Haben wir nicht alle Einen Vater, hat nicht Ein Gott uns alle geschaffen, warum handelt ihr treulos gegeneinander und zerstöret den Bund unserer Väter?" (Maleachi 2:10). Ihr unterfanget euch, im Namen des Herrn von erbgesessenen und Gastvölkern zu sprechen, zu raisonieren über Fremdenrechte, die zu beschränken wären, befiehlt denn nicht Gott, der Herr, "eine Lehre sei für den Fremdling, wie für den Einheimischen, der unter euch wohnt? (Exodus 12:29). Ein Gesetz, ein Recht sollt ihr für den Fremdling, der sich bei euch aufhält, haben, wie für den Erbgesessenen?" (Leviticus 24:22 und Numeri 16:15). Gebietet Er nicht: "Und du sollst nach Gerechtigkeit richten zwischen einem Manne und seinem Bruder und seinem Fremdling", achte kein Ansehen, denn das Recht ist Gottes? (Deuteron. 1:16).

Die Lehre Gottes fragt nicht nach dem Bekenntnis, nicht nach der Abstammung, nicht nach der Rasse, sie will, daß Liebe, Versöhnlichkeit, Friede und Eintracht unter den Erdbewohnern walte und läßt daher nicht den geringsten Unterschied zu zwischen Menschen und Menschen, sie verbietet strengstens jede Ausnahme zwischen dem Einen und dem Andern zu machen, um den Frieden in der Gesellschaft zu stören.

"Hüte dich, den Fremdling zu bedrücken, wisset ihr doch, wie es dem Fremdling zu Mute ist (Exodus 23:9). Wie der Einheimische unter euch sei der Fremdling, liebe ihn wie dich selbst (Leviticus 19:33). Liebet den Fremdling, denn ihr waret ja selbst Fremdlinge in Ägypten" (10:19).

In unserer Zeit des Fortschrittes und der Humanität, wo Jeder für seine Nationalität zittert, Jeder ängstlich seine Sprache hütet, seine Eigentümlichkeit sorgfältig bewahrt und alles Fremdartige auszuscheiden und fernzuhalten bemüht ist, wo sich der Bruder vor dem Bruder, Volksstamm vor dem Volksstamm, Nation vor der Nation verschließt und jeder Gemeinsinn, jede Solidarität und Zusammengehörigkeit in der Menschenfamilie aufzuhören droht, wo der Eine dem Andern zuruft: hinweg von hier, denn du sprichst nicht meine Sprache, hinweg von hier, du gehörst nicht meiner Nation, hinweg von hier, du gehörst nicht meinem Stamme an, du bist andern Glaubens, andern Sinnes, anderer Meinung als ich, folglich gebühren dir nicht die vollen Menschenrechte, du bist nicht ein Wesen wie ich, du bist anders geartet, du bist mir schädlich, verderbenbringend, mein Ruin, ein Ungeheuer, alles, nur nicht ein Mensch. In unserer Zeit des Fortschrittes und der Humanität sagen wir, hat man die größten Fortschritte auf dem Gebiete des Hasses und die größte Humanität in der Pflege des eigenen Ichs zu verzeichnen. Überall blüht die Denunziation, gedeiht die Angeberei, die Verleumdung, das Mißtrauen. Die mächtigsten Staaten werden aufmerksam gemacht und gewarnt, sich nur bei Zeiten zu schützen gegen die angebliche Übermacht einer verschwindend kleinen, winzigen Minorität, die größten Vorsichtsmaßregeln zu treffen gegen fremden Einfluß, der gleich null ist, die widersinnigsten und lächerlichsten Befürchtungen werden überall mit Eifer laut gepredigt und so lange geschürt und gehetzt, bis Gewalt und Unrecht allenthalben überhand nehmen. Das ist der Spiegel der Gegenwart.

Wenden wir uns dagegen zu dem alten Hebräerstaate. Palästina war ein kleines Gebirgsländchen, das sich mit seinem Flächenraum und seiner Produktivität gewiß nicht einem der heutigen Großstaaten gleichstellen konnte. Da gab es keinen Sprachenstreit, keinen Nationalitätenhader, keine Fremdengesetze. Syrisch, chaldäisch, griechisch, aramäisch, hebräisch wurde ohne jede Eifersüchtelei nebeneinander gesprochen, Fremdlinge der verschiedensten Völker lebten friedlich, unangefochten und gleichberechtigt nebeneinander, und niemand fürchtete, daß die rechtmäßigen Bewohner Kanaans dadurch in ihrer Nationalsprache, in ihrer Stammeseigentümlichkeit oder in ihren wirtschaftlichen Interessen bedroht werden könnten. Das fiel gar niemandem ein. Im Gegenteil. Es bestanden dort die strengsten Gesetze zum Schutze des Fremdlings, welche die liebevollste Behandlung desselben verordnen. "Du sollst den Lohn des Armen und Dürftigen, es sei dein Bruder oder ein Fremdling, der in deinen Toren weilt, nicht vorenthalten. Am selben Tage, noch bevor die Sonne unergeht, sollst du ihm seinen Lohn geben, da er doch arm ist und danach seine Sehnsucht trägt, er könnte sonst den Herrn wider dich anrufen und du hättest dann einen Sünde (Deuteronomium 24:14). Beuge nicht das Recht des Fremdlings (daselbst 17). Verflucht sei derjenige, welcher das Recht des Fremdlings beugt" (daselbst 27:19). Mag ein Volk noch so sehr sich gegen dich vergangen haben, seinen Nachkommen darfst du es nicht vergelten. "Was können die Kinder für die Schuld der Eltern? Wenn die Väter unreife Trauben aßen, sollen dafür die Zähne ihrer Kinder stumpf werden? Darum "verachte keinen Ägypter, ob du auch Fremdling und schwer unterdrückt warst in seinem Lande, verachte keinen Edomiter, denn er ist dein Bruder (daselbst 23:5). Der Herr ist es, der den Fremdling besonders in Schutz nimmt (Psalm 147:9). Friede, Friede ruft der Prophet, dem Fernen wie dem Nahen" (Jesaja 57:20). "Wer den Fremdling kränkt, sündigt dreimal gegen Gott, wer ihn bedrückt, zweimal" (Baba Meziah 59:2). Du hast nicht zu fragen nach der Herkunft oder nach der Abstammung des Menschen. Mensch ist Mensch und selbst der gebildete Heide ist dem Hohenpriester bei dir gleichzustellen (Avoda Sara 3a). Ein gelehrter Bastard ist sogar einem unwissenden Hohenpriester vorzuziehen" (Erechin 6a).

Bei unserer modernen Unduldsamkeit wird jeder arme Mensch, jedes subsistenzlose Ebenbild Gottes durch ein gefühlloses hartes Gesetz in die Heimat abgeschoben, wo einst die Wiege seines Großvaters stand und er ungekannt und fremd nichts anzufangen weiß. So wird verfahren gegen den Sohn des eigenen Stammes, gegen den Bruder des eigenen Volkes. Anders lautet das Gesetz im Volke Israel: "Wenn dein Bruder oder der Fremdling, der in deinem Lande wohnt, verarmt, so mußt du ihn unterstützen, daß er bei dir in deiner Mitte zu leben habe" (Deuteron. 24:34). Bei der Ernte, bei der Weinlese, bei der Verteilung des Zehnten, bei den drei Hauptfesten soll der Fremdling ebenso seinen Anteil haben, wie die armen Eingeborenen (Deuteron. 24:19, 20, 21, 27). Die den Israeliten unerlaubten Speisen darf man nicht verkaufen, wenn sie der Fremdling annehmen will, sondern man ist verpflichtet, in erster Reihe sie ihm zu schenken, weil es ein Gebot ist, ihn zu erhalten (Pessachim 21b). Man glaube aber nicht, daß mit dem Worte "Ger" nur ein Fremdling gemeint sei, der den Glauben Israels angenommen habe, sondern es wird unter Fremdling auch der Heide verstanden, der im Lande der Hebräer nur wohnhaft ist oder sich daselbst nur für eine gewisse Zeit aufhält (Kidduschin 20a). Solcherart war die Armenpflege unter den Israeliten dem Heiden gegenüber. Freilich war diese dem Glaubensbruder gegenüber unvergleichlich liebevoller und humaner, wir wollen uns aber für diesmal in dieses gar weitläufige Thema nicht verirren, da wir hier bloß den Frieden, die Versöhnlichkeit und die Liebe zu besprechen die Aufgabe haben, welcher Art dieselben allen Gliedern der Gesellschaft und selbst den Heiden gegenüber zu betätigen geboten waren.

Wenn nun der Fremdling in solch brüderlicher Weise behandelt werden mußte, umsoweniger, daß es gestattet war, ihn seine Lage als solcher fühlen zu lassen und weil er der Schwächere war, ihm Unrecht zuzufügen. Du sollst den Fremdling nicht einmal mit Worten kränken (Baba Meziah 58a), wer ihn irgendwie beleidigt, vergeht sich dreifach bei Gott, bist du denn nicht auch Fremdling in Ägypten gewesen, warum willst du daher einem andern denselben Makel beilegen, der dir selbst anhaftet? (daselbst). In der Nächstenliebe gibt es gar keinen Unterschied zwischen deinem Bruder und dem Fremdling, sie erstreckt sich auf alle Wesen, die Menschenantlitz tragen, also auch auf die Heiden (Tana d. B. Elijahu). Kein Mensch ist sicher, daß er nicht einmal zum Fremdling wird, daß er nicht in fremdem Lande, in einem fremden Weltteil leben muß, außer er würde sich an die Scholle anschmieden lassen, wo er geboren wurde. Die Welt ist aber zu dem Zwecke erschaffen, daß sie bewohnt, kultiviert und benützt werde (Jesaja 45). Die Himmel sind des Ewigen, die Erde aber gab Er den Menschenkindern (Psalm 115). Die ganze Erde ist des Menschen Heimat, nirgends ist er Fremdling, wo er ist, ist er ein Teil von ihr, denn er ist aus ihr geschaffen worden und bei seiner Schöpfung nahm Gott Erdteilchen von der ganzen Erde und formte daraus den Adam (Sanhedrin 38b). Von diesem Einen Vater stammen wir alle ab und niemand hat das Recht sich höher zu dünken als der Andere (daselbst 37), damit der Friede in der Gesellschaft Bestand habe.

Die ganze Menschengattung ist nicht auf einmal aus des Schöpfers Hand hervorgegangen wie alle anderen Wesen, sondern er erschuf zuerst einen einzelnen Menschen, um damit darzutun seine Größe. Wenn der Mensch mehrere Münzen prägt nach einer Form, so sind alle einander vollkommen gleich, Gott aber formte alle Menschen nach dem Ebenbilde Adams und der Eine gleicht nie dem Andern, aus dieser Tatsache schließen wir, daß jeder das Recht hat zu sprechen: um meinetwillen ist die Welt da (daselbst). Jeder einzelne Mensch ist in seiner Eigenart eine kleine Welt für sich, dem Niedrigsten und Geringsten ist seine Person so wertvoll und kostbar wie dem Höchsten und Vornehmsten die Seinige, darum wer nur einen Menschen vernichtet, vernichtet gleichsam eine ganze Welt (daselbst), denn der eigentliche Zweck der ganzen Schöpfung ist der Mensch, er ist nicht ein bloßes Naturprodukt wie die andern Wesen, sondern Absicht und Ziel der Natur, dessen Entwicklung und Vervollkommnung dieselbe zum Endzwecke hat. Diese Theorie spricht der Talmud in den Worten aus: "Dieses ist die Entstehungsgeschichte des Menschen", das ist der höchste Grundsatz unserer Thora (Nedarim Jeruschalmi 89).

So sehen die Lehren des Talmud hinsichtlich der Versöhnlichkeit unter den Menschen aus.

Und in Bezug auf die Menschenliebe? Auch da kennt unser Schrifttum keinen Unterschied zwischen Menschen und Menschen. Die alten Völker, die der Welt ihre Gesetze diktierten und den Stempel ihres Geistes aufprägten, die an der Spitze der Kultur standen, wie das listige, kriegsgewandte Volk der Römer, vor welchem alle Nationen im Staube lagen, oder die Griechen, deren Kunst und Philosophie noch heutzutage den Künstler und Denker zur Bewunderung und Anbetung hinreißt, sie kannten nur die Vaterlandsliebe, der Begriff Menschenliebe war ihnen fremd, unbegreiflich. Wer nicht ihres Stammes oder aus ihrer engeren Heimat war, galt als Barbar, als Helote, Sklave.

Unsere Lehre hingegen kennt keine Beschränkung in der Liebe, sie kennt nur Menschen, und fragt nicht erst nach Stammesangehörigkeit oder Bekenntnis. Wollte sie engherzig Unterschiede in der Gesellschaft machen, so wäre ja ihre Hauptaufgabe den Frieden in der Welt zu sichern, ganz verfehlt! Um friedlich zu sein, muß man Jedem ohne Ausnahme freundlich entgegenkommen, jede Ausnahme aber gefährdet den allgemeinen Frieden.

Darum empfange jeden Menschen mit freundlicher Miene (Aboth 1). Liebe den Frieden, fördere ihn und sei ein Menschenfreund. Beurteile jeden Menschen mit Milde und Güte (daselbst). Schätze kein menschliches Wesen gering und sei demütig und bescheiden vor jedem Menschen (daselbst 4). Nur durch allgemeine Menschenliebe kann man sich den wahren Geist der Thora aneignen (daselbst 6).

Mag der Mensch noch so fromm sein, mag er die schönsten gottgefälligen Tugenden besitzen, sobald er nicht freundlich und liebevoll mit allen Menschen zu verkehren versteht, ist alles verfehlt. Im Gegenteil, man bedauert dann noch seine Intelligenz und sein Wissen (Joma 86a.) Ein Heide kam einst zu Schammai und wollte sich zum Judentum bekehren, wenn er ihm die ganze jüdische Lehre lehrt, während er auf einem Fuße stehen kann. Der strenge Schammai wies ihn ab. Als er vor Hillel kam, sprach dieser: Was Dir nicht gefällt, das tue auch Deinem Nächsten nicht, das ist unsere ganze Lehre, das Andere ist bloß Kommentar (Schabbos 31). Friedfertigkeit in solcher Weise geübt, verbürgt den Bestand und das Gedeihen der Welt, Scheelsucht, Mißgunst und Engherzigkeit aber und Haß gegen Menschen, weil sie anderer Ansicht, anderer Meinung oder von anderer Abstammung sind, führt den Ruin und das Verderben der Gesellschaft herbei (Aboth 2). Nur durch Menschenliebe kann man die Liebe Gottes sich erwerben, derjenige aber, durch den die Gemüter gegen einander aufgereizt, die niedrigsten Leidenschaften aufgepeitscht werden und die Geister nicht zur Ruhe kommen können, ein solcher Menschenfeind ist auch Gott widerwärtig (daselbst 3). Wie in der Menschenliebe kein Unterschied gemacht werden darf zwischen Menschen und Menschen, so darf es auch keine Ausnahmen geben in der Menschenachtung. Selbst der Niedrigste, selbst der Verbrecher hat noch Anspruch auf seine Menschenehre. Wer ein Rind stiehlt und dabei ertappt wird, der muß es fünffach zurückerstatten, weil er es vor sich hertreiben konnte und sich nicht erst entwürdigen mußte durch Tragen auf der Schulter. Wer aber ein Lamm entwendet, braucht es nur vierfach zu bezahlen, weil er es auf der Schulter tragen und dadurch seine Menschenehre entwürdigen mußte. So hoch steht bei Gott die Menschenwürde! (Baba Kama 79). Darum, wer selbst Ehre haben will, muß sie auch jedem andern geben (Aboth 9).

Wir könnten hier auch das Thema der Armenpflege, die Behandlung der Arbeiter und Sklaven und die sonstigen gesellschaftlichen Pflichten nach Bibel und Talmud besprechen, um damit darzutun, was alles unsere Lehre für notwendig erachtet, um den sozialen Frieden zu erhalten unter den verschiedenen Klassen und Ständen des Staates, wir haben aber die Fragen in diesen Blättern eingehend behandelt und halten demnach eine so weitläufige Auseinandersetzung hier für überflüssig und wollen diesselbe heute nur in dem Ausspruch des Talmud zusammenfassen: Wer Mitleid mit den Gottesgeschöpfen empfindet, Mitgefühl für seinen Nebenmenschen hat, dessen erbarmt sich auch Gott im Himmel. Wer aber hartherzig ist, dem beweist auch Gott keine Liebe und Barmherzigkeit (Schabbos 151b). Jede Wohltat, jede Tugend, jede Gerechtigkeit und jede Liebe, die hier der Mensch seinem Nächsten gegenüber übt, bewirkt nicht bloß den Frieden und die Versöhnlichkeit in der Gesellschaft, sondern hat auch die Versöhnlichkeit Gottes mit den Menschen zur Folge (Baba Bathra 9).

4. Über die Störung des Friedens


Die Störung des Friedens sowohl in der Familie als in der Gesellschaft wie auch der staatlichen Obrigkeit wird in Bibel und Talmud auf das strengste verurteilt. Von Natur aus sind die Menschen ihrem Wesen nach verschieden voneinander. Jeder ist gleichsam eine kleine Welt für sich in seinen Regungen, Empfindungen, Gefühlen. Im Denken und Handeln, in den Meinungen und Ansichten, in den Interessen und im Geschmack gleichen sie nur selten Einer dem Andern. Bleibt sich doch oft der einzelne Mensch in seinem Wesen nicht immer gleich. Was er heute billigt, kann er morgen schon verurteilen, was ihm jetzt begehrenswert scheint, kann er in Zukunft für verwerflich finden, wie kann man daher von so vielen eigenartigen Wesen verlangen, daß sie alle miteinander in allem übereinstimmen? Das ist vom Standpunkte der Vernunft ganz unmöglich, und jeder vernünftige Mensch wird auch demnach die Meinungen und Anschauungen des Andern, und mögen dieselben noch so sehr mit den seinigen in Widerspruch sein, gelten lassen und respektieren. Die Verschiedenheit der Anschauungen hat für den Einsichtsvollen durchaus nicht Friedensstörung zur Folge, er kämpft sozusagen einen friedlichen, oft sogar heilsamen Kampf des Geistes, wo Argumente gegen Argumente ins Feld geführt werden, deren Ringen miteinander eine Klärung herbeiführen können, die von heilsamer Wirkung ist. Das ist aber nur so lange, als der Kampf ein sachlicher, daher vernünftiger ist. Sobald aber das Auseinandergehen der Ansichten zu Vorwürfen persönlicher Art zu werden beginnt, hat die Vernunft aufgehört das Wort zu führen und die Leidenschaft tritt an ihre Stelle. Die Leidenschaft aber kennt kein Paktieren, sie nimmt keine Vernunft an, ist blind, zügellos, unbändig, sie läßt allmählich das Tier in dem Menschen die Oberhand gewinnen und reißt alles mit sich fort ins Verderben.
Darum, wenn der Frieden nicht gestört werden soll, müssen Anschauungen und Personen strenge auseinander gehalten werden. Sobald aber die Beiden ineinander sich verschmelzen, ist es auch mit der Eintracht zu Ende, und das ist auch der ganze Fluch unserer Zeit. Nicht die tausendfältige Verschiedenheit der Ansichten und Parteien ist es, die in unserem modernen Staatsleben soviel Unheil über die Welt bringt, sondern daß das Auseinandergehen der Anschauungen in ein Auseinandergehen der Personen ausartet, welches den Frieden unterwühlt, die Vernunft erstickt und die Leidenschaft ihre Orgien feiern läßt. (Unwillkürlich werden wir genötigt immer wieder zu diesem widerlichen Zeitbilde der Gegenwart zurückzukehren, sobald vom Frieden oder von Friedensstörung die Rede ist, der geehrte Leser möge Nachsicht haben und uns diese Abschweifung von unseren eigentlichen Thema verzeihen). Verschiedene Meinungen und Parteien hat es immer unter den Menschen gegeben und werden auch immer sein, nur müssen sie jede Gehässigkeit meiden, um dem persönlichen Zwist aus dem Wege zu gehen.

Nach dieser kurzen einleitenden Auseinandersetzung wollen wir nun zu unserer eigentlichen Aufgabe schreiten und zu erörtern suchen, wie sich Bibel und Talmud über die Friedensstörung im Allgemeinen äußern.

Sobald die Verschiedenheit der Meinungen in persönlichen Haß übergeht, tritt überhaupt der Gegenstand des Zwistes bald in den Hintergrund, die Person aber in den Vordergrund. Nun bleibt dann nichts anderes übrig, als persönlicher Haß. Um aber den persönlichen Haß möglichst sachlich erscheinen zu lassen, wird er mit scheinbaren aber durchaus falschen Gründen und Schlüssen gerechtfertigt, in Wahrheit aber ist es und bleibt auch nichts anderes als unbegründeter Haß ohne jede Ursache. Das nennt der Talmud "grundloser Haß". Hören wir nun wie sich die Gemarah darüber ausspricht: Blinder Haß brachte den zweiten Zionstempel zu Falle, obwohl zu jener Zeit Tugend und Mildtätigkeit geübt wurden. Daraus ist ersichtlich, daß unbegründete Feindschaft gleichgestellt ist mit den größten drei Sünden, mit Götzendienst, Blutschande und Mord (Joma 7b). Sind nicht diese talmudischen Worte heilige Wahrheit? Finden wir nicht darin unsere politischen Anarchisten, die antisemitischen Demagogen und Volksverführer aufs trefflichste charakterisiert? Blinde Wut veranlaßt sie die widersinnigsten Lügen auszustreuen, der deutsche Jude will Deutschland zu Grunde richten und es an Frankreich ausliefern, der französische Jude will Frankreich vernichten und es an Deutschland ausliefern, die Geistlichkeit ist verjudet, die ganze Welt überhaupt wird vom Judentum beherrscht usw. usf. Der Jude ist der Fluch der Menschheit, ihr Ruin, ihr Verderben. Sein mobiles Kapital muß ihm daher geraubt, sein Vermögen den Ariern ausgeliefert, sein Bestand, seine Existenz vernichtet werden. Das vermag die unbegründete Feindschaft, nichts ist ihr heilig, die bestehende Ordnung, die Moral und Sittlichkeit, alles, alles was zur Erhaltung des Staates unerläßlich notwendig ist, wirft sie über den Haufen und predigt Sittenlosigkeit, Raub und Gewalttat. Das ist weder christlich noch jüdisch, das ist heidnisch, sodomitisch und treibt unaufhaltsam zum Untergang alles Bestehenden, zum Umsturz der Grundfesten des Staates. Aber auch diese Unheilstifter und Friedensstörer selbst gehen keineswegs straflos aus, sie werden alle ohne Ausnahme Einer früher, der Andere später in ihrer ganzen Verworfenheit vor der Öffentlichkeit gebrandmarkt und bald darauf ist ihr Name vergessen und verschwunden vom Schauplatz des Lebens, denn jeder der beim Zwist mithilft, dessen Andenken wird von Gott vernichtet (Midrasch Rabbah 13). Das ist nicht nur im gesellschaftlichen, sondern auch im Familienleben der Fall, und das Haus, in welchem Zwistigkeit herrscht, muß schließlich zu Grunde gehen ((Derech Erez 9). Darum wird der Streitsüchtige ein Bösewicht genannt (Midrasch Rabbah 18). Mag der Mensch noch so fromm und gottesfürchtig sich zeigen, Gott hat kein Wohlgefallen daran, wenn er zänkisch ist und Hader und Zwist übt. "Rufe laut, schone nicht, wie eine Posauene erhebe deine Stimme und verkünde meinem Volke ihr Vergehen und dem Hause Jakob ihre Sünde. Sie suchen mich täglich auf, als wollten sie meine Wege wissen, wie ein Volk das Gererchtigkeit übt und das Recht Gottes nicht verlassen hätte, sie fordern mich zum Recht und wollen dann mit ihrem Gotte rechten. Warum fasten wir und du siehst es nicht, warum kasteien wir uns und willst es nicht wissen? Siehe, Ihr fastet und hadert und streitet, schlaget böswillig mit der Faust. Fastet nicht also, wie Ihr es tuet, daß Euer Geschrei in der Höhe gehört wird" (Jesaja 58:1-5). Was nützen die schönsten Worte, die lieblichsten Phrasen von Menschenliebe, Patriotismus, von Fortschritt und Freiheit, wenn der gottloseste Zwist dabei gepredigt wird? Darum wird so eindringlich gebboten, dem Parteihader womöglich aus dem Wege zu gehen und einträchtig und friedfertig zu sein (Sifri Reeh).

Obwohl die מצוות התלויות בארץ, die Gebote, die sich auf das Land und seine Kultur beziehen, nur Gültigkeit und Rechtskraft für das heilige Land allein hatten, während dieselben im Auslande ungestraft übertreten werden durften, nahm Korach keinen Anstand, solche Gebote auch in der Wüste, wo doch gewiß niemand Bodenbesitz hatte, als zu Recht bestehend auszugeben, um dann auf diesem Fundament der Lüge seine Hetzrede aufzubauen und die staatlichen Institutionen anzuklagen, ganz so wie es die heutigen Hetzer machen, welche zuerst Lügen ausstreuen, um dann auf Grundlage derselben ihre Anklagen begründen zu können. Hören wir nun was Korach sprach: In einer Volksversammlung schrie er mit dem vollen Brustton der Überzeugung: In meiner Nachbarschaft wohnt eine Witwe mit ihren zwei Töchtern. Sie besaß ein Feld, von dem sie nur schwer ihren Bedarf decken konnte. Aber zur Ackerszeit erschien Moses und sprach: Die Thora verbietet Ochs und Esel zusammenzuspannen vor dem Pflug. Dadurch konnte die Frau den Acker nicht bestellen. Zur Zeit der Saat kam Moses abermals und sprach im Namen Gottes, daß das Aussäen zweierlei Saatgattungen verboten sei. Die Saat wurde nun verhindert. Da kam die Erntezeit, wo die Frau den Bodenertrag einheimsen wollte. Allein, auch da wurden Hindernisse in den Weg gelegt. Der "böse" Moses kam abermals und sprach: Die Ecken des Feldes, die Ähren, die von der Sichel verschont geblieben, die vergessenen Feldfrüchte, das alles muß zurückbleiben für die Armen. Als endlich die Frucht in die Scheune gebracht wurde, da warteten schon die Priester, der Levite und ein Armer, um die Hebe, den ersten und den zweiten Zehnt in Empfang zu nehmen. Freilich, wer wird sich die ewigen Quälereien geduldig gefallen lassen? So wurde die arme Frau genötigt ihr Feld zu verkaufen, und sich für den Erlös zwei Schafe zu kaufen, um sich damit kümmerlich zu ernähren. Die Schafe warfen Junge. Wer war glücklicher nun als die arme Frau? Aber auch das gönnte man ihr nicht, denn Aron kam und verlangte das Erstgeborene für sich. Als die Schurzeit da war, stellte sich Aron wieder bei der Frau ein und fordert ראשית הגן, die erste Wolle von ihr. Der Bedauernswerten blieb nun nichts anderes übrig, als die Schäflein zu schlachten. Sie glaubte nun, dieselben mit ihren zwei Töchtern ungestört genießen zu können, aber weit gefehlt! Der Priester Aron stand wieder vor ihr und sprach: Nach Vorschrift gehören mir Schulter und Kniestück und der Magen von jedem geschlachteten Vieh. Der Frau ging endlich die Geduld aus und sie rief in höchster Entrüstung: Wenn ich nicht einmal ein Schäfchen ohne Abgaben schlachten darf, dann will ich überhaupt nichts mehr davon genießen und ich erkläre das Ganze als verbanntes Gut! Ruhig erwidert Aron darauf: Alles verbannte Gut gehört ja dem Priester, dann gehört erst recht das Ganze mir. Darauf klagten und jammerten die Frau und ihre Töchter, weil man ihnen alles wegnahm, was sie besaßen.

So machen es Moses und Aron, und das Schlimmste dabei ist, daß sie angeben, dies alles nur zur Ehre Gottes zu tun, in dessen Befehl sie handeln (Jalkut Psalm 614).

Mit solchen Agitationsreden hatte Korach die Menge haranguiert, aufgestachelt und zur Empörung gereizt und der Mob glaubte es und schimpfte mit bis es zum Verderben kam.

Mit dieser Schilderung über Korachs Hetzerkünste wollen uns unsere Weisen nur ihre starke Abneigung gegen die Friedensstörer beweisen und ihre Friedensliebe bekunden. Überhaupt hat sich Israel trotz allen Druckes nie zu einer Empörung hinreißen lassen, da Gott Sein Volk beschworen hatte, niemals gegen die Obrigkeit sich aufzulehnen oder seine Erlösung gewaltsam herbeizuführen (Rabba Schir Haschirim).

5. Krieg und Weltfriede


Den antiken Kulturvölkern galt der Kriegsruhm als das wünschenswerteste Gut im Leben. Die Erziehung der Jugend hatte bei den Spartanern und Römern hauptsächlich tüchtige Krieger zum Ziele. Kein Verdienst, keine Errungenschaft wurde so belohnt und geehrt, als die Ruhmestaten auf dem Schlachtfelde. Der Sieger wurde mit den überschwänglichsten Huldigungen überschüttet, verehrt und gefeiert, verhimmelt, vergöttert, besungen und verherrlicht und das ganze Land hallte von seinen Großtaten wider. Was Wunder, wenn da das Waffenhandwerk als die ehrendste Beschäftigung galt, während die friedliche Arbeit geringgeschätzt und verachtet war! Dasselbe war bei den Germanen, Galliern, Hunnen und den meisten Nationen des Altertums der Fall. Ländereroberung, Völkerbezwingung, Herrschsucht und Unterjochungsgier waren die Triebräder, welche die Staatsmaschine in Bewegung hielten und das ganze öffentliche Leben beherrschten, auf die sittliche und moralische Entwickelung aber wurde wenig Wert gelegt. Wie grundfalsch diese Anschauung, diese Staatsweisheit war, beweist die Geschichte zur Genüge, welche nur allzudeutlich die Worte des Propheten bestätigt: Nicht durch Heere, nicht durch körperliche Gewalt, nicht durch die ungeheure Ausdehnung, nicht durch die Menge der Kriegsschaaren besteht das Reich, sondern durch den Gottesgeist, der es beseelt und erfüllt (Secharjah 9). Die alten Weltreiche der Babylonier, Assyrer, Perser, Römer, sie sind wie Seifenblasen dahingeschwunden, während ein kleines Volk aus jener Zeit noch heute frisch und lebenskräftig besteht und an der friedlichen Entwicklung der Menschheit regsamen Anteil nimmt. Es ist das jüdische Volk. Es ist daher durchaus unrichtig anzunehmen, daß das Gedeihen und die Wohlfahrt eines Landes von seiner Größe, von seiner Stärke oder von seinem ausgedehnten territorialen Umfang bedingt ist. Daß dem so ist, behauptet auch einer unserer wackersten Deutschen der neueren Zeit, der edle Turnvater Jahn, dem gewiß sentimentale Gefühlsduselei nicht vorzuwerfen ist. Jahn schreibt: "Nicht das äußere umgelegte Staatenband macht das Volk, die Menschen lassen sich nicht wie Häringe in Tonnen pökeln, nicht im Völkerzwinger einherden, wie des Xerxes Krieger in die Maßherde der Zehntausende. Zusammenseinmüssen gibt keinen wahren Verein. Die ungeheuern Weltreiche, die mit Freßgier einer Riesenschlange Länder und Völker heißhungrig hinunterwürgten, erlagen unter der Last ihrer ungleichartigen Bestandteile, und wenn von Außen das gewaltige Schicksal sie heimsuchte, so verschwanden sie gleich Lufterscheinungen." Unsere vielgepriesene Zeit der Zivilisation, des Fortschritts, des Dampfrosses und der Elektrizität, die sich hochmütig auch das Zeitalter der Humanität nennt, steht noch tief im Altertum unter dem Einfluß der heidnischen Anschauungen der alten Griechen und Römer. Wie deren Philosophie und Rechtgspflege noch heute die Wissenschaft und die staatliche Gerichtsbarkeit zum größten Teil beherrschen, so ist es auch mit ihren übrigen Anschauungen der Fall und folglich auch mit ihren Ansichten über Krieg und Frieden. Der Kriegsstand ist noch immer der geachteste im Staate, und der geachteste Staat ist der, der am meisten gefürchtet ist. Die physische Gewalt gibt den Ausschlag unter den Völkern, nicht die Intelligenz, die Gerechtigkeit und die geistige Überlegenheit.
Ein ganz anderer Geist durchweht das jüdische Schrifttum, da herrschen ganz andere Anschauungen über Humanität, Menschenliebe, Versöhnlichkeit, Krieg und Frieden, Recht und Gerechtigkeit. Das Christentum hat die Morallehre des Judentums adoptiert und damit auch seine Anschauungen über die sittlichen Güter der Menschheit akzeptiert. Beide Religionen kämpfen und ringen durch eine lange Reihe von Jahrhunderten für ein und dasselbe ethische Prinzip, aber weder die jüdischen noch die christlichen Grundsätze der Moral fanden durch die lange Zeit Eingang in die Gemüter der Völker, sie vermochten die heidnischen Anschauungen nicht zu verdrängen, sie wurzeln noch immer tief in den Herzen und unsere Zeit steht noch immer unter dem Einfluß des alten Heidentums. Wir wollen nun die biblischen und talmudischen Ansichten über Krieg und Weltfrieden einer nähern Betrachtung würdigen, um zu sehen, wie grundverschieden dieselben von den Anschauungen der heidnischen Völker und von denen der jetzigen human sich nennenden Welt sind.

Der Jammer, das Elend und das unermeßliche Unglück, das der Krieg zur Folge hat, ist grenzenlos. Kinder werden erbarmungslos ihren Eltern entrissen, Männer ihren Frauen, die Ernährer und Erhalter ihren Familien gewaltsam genommen und in den wütenden Kampf geschickt. Die tierischen Instinkte werden in den Gemütern aufgerüttelt, Härte, Grausamkeit, Mordgier, ungestüme Wildheit und abgestumpfte Gefühllosigkeit werden als lobenswerte Eigenschaften gehalten, jede edle Regung, jedes menschliche Empfinden, jedes Erbarmen wird gewaltsam unterdrückt, gelten sie doch als verabscheuungswürdig, kurz der Mensch muß im Kriege aufhören Mensch zu sein, er wird genötigt Bestie zu werden. Handel und Wandel liegen danieder, Kunst und Wissenschaft werden vernachlässigt, der Erwerb ganzer Geschlechter wird vernichtet, die Blüte der Jugend in einem Tage weggerafft, nichts wird geachtet und alles hat seinen Wert verloren. Doch lassen wir hierüber dem Propheten das Wort:

"Siehe, die Boten schreien draußen, die Friedensengel weinen bitterlich. Die Straßen sind verödet, verwüstet die Wege, niemand wagt es hinauszutreten, die Treue wird gebrochen, der Bund zerstört, der Glaube vernichtet, die Städte sind gemieden, Menschen als nichts geachtet. Der Boden liegt kläglich und jämmerlich brach, der Libanon ist schändlich zerhauen, der Scharon eine Wüstenei und Baschan und Karmel sind verödet" (Jesaja 33:7-10).

"In Euerem Hochmut glaubt Ihr Völkereroberer Euern gen Himmel schreienden Frevel ungestraft fortführen zu dürfen und Länder ohne Zahl zu bezwingen, aber der Herr ahndet Euere Schuld, entreißt Euch die Beute und überliefert Euch selbst Euern Feinden. Der Herr bricht den Stab der Gottlosen, den Stab der Tyrannen. Welcher die Völker schlug mit Wüten, ohne Unterlaß, die Nationen züchtigte mit Grimm und sie verfolgte ohne Einhalt. Die Hölle unten erzittert vor Dir, da Du ihr entgegenkommst; sie erwecket Dir die Toten, die Angesehensten der Welt, die Könige der Völker stehen auf von ihren Thronen. Und alle sprechen sie zu Dir, Du bist auch geschlagen wie wir und bist uns nun gleich. Dein Stolz ist also in die Hölle hinabgesunken, samt dem Klange Deiner Harfen, Motten sind Dein Bett und Deine Decke Gewürm. Du sprachest doch immer, ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes erheben. Ich will über die Wolken fahren und mich dem Allerhöchsten gleichstellen. Ja zur Hölle bist Du hinabgesunken, in die Tiefe des Grabes. Alle, die Dich sehen, staunen Dich an und fragen verwundert: Ist das der Mann, der die Erde erzittern machte, Königreiche erschütterte, die Welt in Wüstenei umwandelte, Städte niederriß und die Gefangenen nie frei ließ? Alle Könige der Völker liegen doch in Ehren und ruhe ein Jeglicher in seinem Hause. Du aber bist verworfen von Deinem Grabe, wie ein verachteter Zweig, wie eine zertretene Leiche. Du wirst nicht wie diese begraben werden, denn Du hast Dein Land verheert, Dein Volk erschlagen, man wird deshalb Deine Nachkommen nie erwähnen, man vernichtet Deine Kinder wegen der Schuld ihrer Väter, damit sie nicht wieder aufstehen und das Land erobern" (daselbst 14:5-22).

Das ist das Los aller Völkerbezwinger, aller eroberungsgieriger Herrscher, ihr maßloser Stolz wird endlich gebrochen, ihr Hochmut niedergeschmettert, ihr Ende gleicht selten dem friedlicher Fürsten und Könige, ihre Gewalttaten werden an ihren Nachkommen gerächt, die Beute wird ihnen entrissen, die Macht ihren Händen entwunden und ihre Herrlichkeit ist für ewig dahin. Solche Beispiele zeigt die Geschichte in großer Zahl. Es ist das Walten der Gerechtigkeit, der göttlichen Majestät in der Völkergeschichte, die das Unrecht nicht ungestraft läßt, welche da ahndet die Schuld der Väter an den Kindern.

Aber die Welt und ihre Machthaber wollen dies nicht einsehen, die Völker stehen noch immer kampfbereit einander gegenüber, über einander herzufallen, und zu zerfleischen, zu vernichten. Ihre Pfeile sind geschärft, ihre Bogen gespannt, ein Brausen geht durch die Heere gleich dem Tosen mächtiger Gewässer, ein Getümmel gleich dem Wüten des sturmbewegten Meeres. Mit fieberhafter Eile werden die Rüstungen betrieben, die Leidenschaften werden mit Eifer aufgepeitscht, das Feuer geschürt und angefacht bis endlich die Kriegsflamme mit ihrem blutigen Schein auflodert und alles verheert, vernichtet, verwüstet und zu Grunde richtet, die Städte menschenleer werden, die Häuser unbewohnt und das Land verlassen (daselbst 10:11, 12).

Wann wird die Menschheit endlich zur Einsicht gelangen?

Wann werden die Völker zur Erkenntnis kommen, daß ihr Fluch der Krieg, ihr Segen der Frieden ist?

Der weiseste unter den Königen Israels war von dieser Wahrheit ganz durchdrungen. Er suchte nicht den Ruhm in Massenord auf dem Schlachtfelde, er wollte nicht als Ritter des Schwertes gelten, sondern als Ritter des Geistes, für ihn galt der als Held, der sich selbst zu beherrschen vermochte. "Besser als ein Kriegsheld ist der, der seine Begierden zu zügeln weiß, und wer seine Leidenschaften meistert, gilt mehr als der Eroberer einer Stadt" (Sprüche 16:32). "Nicht durch große Heeresmacht oder durch Eroberungen besteht ein Land, sondern durch die Gerechtigkeit des Herrschers und der Regierung" (daselbst 29:4). Auf diesen Grundsätzen basierte die Regierung Salomos, unter dessen Herrschaft ein beständiger Friede in Israel waltete. König David deutete schon auf dieses Prinzip seines Sohnes hin, das er mit seinem Seherauge voraussah, indem er singt: "An Salomo! Herr, gib Dein Recht dem Könige und Deine Gerechtigkeit dem Königssohn, auf daß er dem Volk richte mit Gerechtigkeit und die Armen mit Recht. Laß die Berge den Frieden bringen für das Volk und die Hügel die Gerechtigkeit. Zu seinen Zeiten wird blühen der Fromme und ein großer Friede bis der Mond nicht mehre ist" (Psalm 72).

Ohne allen Zweifel war auch König David von diesen Grundsätzen beseelt, aber er war wider seinen Willen durch die Angriffe die er abzuwehren hatte, zu mehreren Kriegen gezwungen. Klagte er doch: "Ich bin friedlich, halte Frieden mit jedem, aber wenn ich rede, so sangen sie Krieg an" (daselbst 120). Sein Gebet war auch: "Errette und behüte mich Herr vor jeglicher Blutschuld" (daselbst 51).

Wie der Friede in der jüdischen Lehre als die Quelle des Segens gepriesen wird, so wird der Krieg in derselben als ein gottloses frevelhaftes Laster betrachtet und seine Vermeidung anbefohlen. Nur Esau, dem unwürdigen Sohne Isaaks, der im Waffenhandwerk sein Heil und seine Lebensaufgabe erblickte, gerecht es zum Segen, wenn ihm sein Vater die Versicherung gibt, daß er durch sein Schwert leben wird, nicht aber so dem frommen Jakob, für ihn bedeute der Frieden die ganze Wohlfahrt und das Lebensglück. Das Verbot "du sollst nicht rachsüchtig sein", das für den Einzelnen gilt, hat auch für die Völker Gültigkeit. Dasselbe ist auch der Fall mit dem Grundsatz: "Söhne sollen nicht wegen der Schuld der Väter getötet werden" und ein Volk darf das andere nicht bekriegen, weil es sich nach Jahrhunderten etwa erinnert, daß ihm einst Unrecht von den Vorfahren desselben geschehen. Denn wer nur eine menschliche Existenz vernichtet, ist des Todes schuldig (Leviticus 24:18), umsomehr gilt es als Verbrechen durch den Krieg unzählige Menschenleben zu Grunde zu richten. Dasselbe sagt auch der Talmud: Wer ein Menschendasein vernichtet, vernichtet gleichsam die ganze Welt (Sanhedrin 37).


Wer nur die Hand erhebt über seinen Mitmenschen wird ein Gottloser genannt, selbst dann, wenn er ihn auch nicht schlägt (daselbst 58b). Das Sanhedrin, welches ein Todesurteil an dem Mörder vollziehen ließ, durfte am Tage der Justifizierung nichts genießen, weil an demselben Menschenblut vergossen wurde (daselbst 63a).

Wenn an einem Hause im heiligen Lande sich eine aussätzige Stelle findet, so soll der Priester befehlen, das Haus vollständig auszuräumen, bevor er kommt die Stelle zu besehen, damit nicht alles darin unrein werde (Leviticus 14). Dazu sagt Rabbi Meir: Was soll durch diese Vorsicht verschont bleiben? Kleider und metallene Gefäße können doch durch Wasser wieder gereinigt werden, es müßte nur sein, daß durch die Unterlassung der Räumung dieses Hauses das irdene Geschirr verunreinigt werden könnte. Aus dieser Verordnung können wir den großen Wert des Menschen bei Gott ersehen. Wenn die Gotteslehre den geringen Wert so beachtet, umsomehr den hohen, umsomehr das Menschenleben, umsomehr das Leben des Gerechten (Kelim 12).

Aus alldem ergibt sich der hohe Wert des Menschen bei Gott, den Er in seinem Geringsten Besitze geschützt wissen will, dessen Leben bei Ihm eine ganze Welt bedeutet, umsomehr aber, daß Er durch die Vermeidung des Krieges das Leben und den Besitz großer Volksmassen zu schonen gebietet. Kein Staatsoberhaupt, kein Herrscher, kein König in der Welt hat das Recht seinen Kriegs- oder Eroberungsgelüsten tausende und abertausende von Menschenleben zum Opfer zu bringen. Alle Menschen sind Kinder Gottes, alle Seelen gehören mir allein (Ezechiel 18:9), spricht der Herr. Das Menschenleben ist ein Licht des Ewigen (Sprüche 20:27) und niemand darf sich anmaßen dieses göttliche Kleinod willkürlich zu zerstören und zu vernichten.

Auch dürfen sich die Machthaber der Völker durchaus nicht einbilden, daß die Gewalt in ihren großen Heeren besteht, daß der Sieg von den gewaltigen Rüstungen abhängt, daß ihr Triumph von der Stärke der großen Armeen bedingt ist. Dem Könige hilft nicht seine große Macht, der Riese wird nicht errettet durch seine große Kraft, Rossen helfen auch nicht und große Heere schützen nicht" (Psalm 33). So spricht ein erfahrener Kriegsheld, der König David. Dasselbe sagt auch sein weiser Sohn Salomo: Die Kriegsrosse stehen bereit am Tage der Schlacht, aber den Sieg entscheidet Gott allein (Sprüche 21, 31). Nicht durch Körperkraft siegt der Mensch (Samuel I:2), es ist dem Herrn allein möglich Hilfe zu verleihen, gleichviel ob durch Viele oder Wenige (daselbst 14:6).

Bei dieser Ungewißheit im Siege ist es gewiß nützlicher und unendlich vorteilhafter, möglichst jedem Konflikt mit einem andern Staate aus dem Wege zu gehen, als das schwere Unglück eines Krieges heraufzubeschwören, und den wahren Heldenmut besitzt dasjenige Volk, das seinen Unmut und seine Entrüstung zu zügeln und zu meistern versteht (Aboth 4). Um so verwerflicher aber ist es, einen Krieg zu provozieren, wozu nur der größte Übermut oder der sträflichste Leichtsinn einen Staat verleiten kann. Der Kampf ist nur in dem Falle gestattet und zulässig, wenn er zur Verteidigung notwendig ist und ein Angriff zur Abwehr herausfordert, dann freilich bleibt auch kein anderer Ausweg übrig und die Gottlosigkeit des Frevlers wird auch seinen Nachbarn verhängnisvoll (Kelim 12).

Wenn aber ein Krieg unvermeidlich ist, so ist keineswegs das ganze Heer verpflichtet in den Kampf zu ziehen, sondern jeder Furchtsame, jeder der ein Haus erbaute und es noch nicht eingeweiht, der mit einer Frau sich verlobte und sie noch nicht heimführte, der einen Weinberg pflanzte und ihn noch nicht abgelesen, kann in sein Haus zurückkehren (Deuteronomium 20:10). Bevor zum Angriff geschritten wird, ist man zuerst verpflichtet dem Feinde Frieden anzubieten (daselbst), denn der Friede ist von so hoher Bedeutung bei Gott, daß selbst in Kriegszeiten der Kampf nicht eher beginnen darf, ohne zuerst eine Versöhnung mit dem Feinde zu versuchen (Peerek Hascholaum). Einen wirklichen Sieg errungen und eine wahre Heldentat ausgeführt, hat aber nur derjenige, der es verstanden, seinen Feind in einen Freund umzuwandeln (Aboth di R. Nathan 23). Wie verdienstvoll ist es zu erwirken, daß das bereits gezückte Schwert wieder in die Scheide zurückkehrt, ohne Verderben anzurichten, das gräßlicher noch als der Tod selbst ist (Baba Bathra 8)! Wie lieblich sind auf den Bergen die Schritte der Boten, die den Frieden künden, gute Nachricht bringen und Heil und Glück melden (Jesaja 52:7)!

Wir glauben nun in Vorstehendem deutlich genug die Verwerflichkeit des Krieges dargetan zu haben und wollen daher im Weiteren die Idee des ungestörten und beständigen ewigen Welt- und Völkerfriedens, wie dieselbe im jüdischen Schrifttum ihren Ursprung und ihren Ausgangspunkt findet, unserer Betrachtung unterziehen.

Alle Edeldenkenden von jeher, alle, die den Glauben an die Gerechtigkeit des Weltenherrschers, an den Fortschritt der Menschheit nicht verloren haben, hat der Gedanke eines ewigen Weltfriedens beschäftigt. Menschenfreunde, Philantropen, wie der Abbé de St. Pierre, Rousseau, Kant, Herder, waren bemüht, in scharfsinnigen Abhandlungen diese Idee ohne Schwärmerei als durchführbar und vom Standpunkte der Vernunft als in Folge der Entwicklung des Menschengeschlechtes in der Zukunft bestehend, zu beweisen. Freilich haben dieselben bisher nur theoretischen Wert bekundet, und die geistreichen und weisen Vorschläge eines Kant, wie dieses hohe Ziel zu erreichen sei, haben bis nun noch von von keiner Regierung praktische Würdigung gefunden. Aber kleine Anfänge, schwache Anläufe und schüchterne Versuche werden hierzu in unserer Zeit doch gemacht, durch Friedensvereine und internationale Kongresse, die das edle Streben haben, diesen edlen Zweck zu erreichen. Mögen dieselben nur mit Konsequenz und Ausdauer, unbeirrt von dem Waffengeklirr der gegenwärtigen Zeit, beharrlich und fest an ihrer erhabenen Aufgabe halten und unermüdlich dahin arbeiten, damit die Idee des ewigen Friedens ihrer Verwirklichung entgegengehe. Der Anfang ist nur klein, aber das Ende wird groß sein (Hiob)! Wer an Gott glaubt, glaubt auch an Ideale, denn ideal ist die Gottheit, ideal ist seine Lehre, ideal sind ihre Satzungen und Sentenzen, ideal ist die Humanität, die Liebe zur Menschheit und ideal ist auch der Weltfriede.

Dieser Gedanke ist von keinem Menschengehirn zuerst ersonnen worden, er ist der Gottheit selbst entsprungen, wie alles, was hoch und erhaben ist, deshalb verkündet auch die Gotteslehre den ewigen Frieden und das Judentum hält an dem Glauben desselben ebenso fest, wie an den andern Verheißungen der Bibel.

Mit glühenden Worten, mit hinreißender Beredsamkeit, mit edlem Schwung verhießt das Judentum der Welt eine Zeit des ewigen Friedens. Mit feuriger Begeisterung, deren nur die wahre Liebe fähig ist, schildern seine Seher die einstige brüderliche Vereinigung aller Nationen der Erde. "Und es wird sein am Ende der Tage, und Gott wird richten die Völker und zurechtweisen die Nationen, und sie werden umschmieden ihre Schwerter in Pflugscharen und ihre Lanzen zu Sicheln; kein Volk wird mehr wider das andere das Schwert erheben und die Kriegskunst werden sie nicht mehr lernen. Ein Jeglicher wird wohnen unter seinem Weinstock, unter seinem Feigenbaum, friedlich, sicher und ungestört, denn der Mund des Herrn Zebaoth hat es gesprochen (Jesaja 2:9 und Micha 4:1). Es wird dann weder nationale, noch Religionskriege geben. Denn ein "jegliches Volk wird wandeln im Namen seines Gottes, und wir werden wandeln im Namen des Ewigen unseres Gottes immer und ewig" (Micha 4:5).

"Und es wird ein Reis hervorschießen vom Stamme Jischai und ein Zweig aus seiner Wurzel hervorgehen, und es ruhet auf ihm der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und der Vernunft, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht. Und er findet Wohlgefallen an der Furcht des Herrn und er richtet und er richtet nicht nach dem Schein der Augen und er strafet nicht nach dem Gehör, sondern er richtet nach Gerechtigkeit die Armen und strafet mit Redlichkeit die Demütigen der Erde und er schlägt die Welt mit der Geisel seines Mundes und mit dem Geiste seiner Lippen tötet er den Gottlosen. Und Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue und der Glaube der Gurt seiner Nieren. Und das Lamm wird mit dem Wolf zusammenwohnen, das Zicklein mit de Leopard sich lagern, Kälber und junge Löwen und Mastvieh wird ein kleiner Knabe zusammenführen. Kuh und Bär weiden nebeneinander, ihre Jungen liegen beisammen und der Löwe frißt Stroh wie das Rind. Der Säugling wird spielen am Loch der Otter und der Entwöhnte steckt seine Händchen in die Höhle des Basilisten, sie verletzen nicht und verderben nicht auf meinem heiligen Berge, denn voll ist die Erde der Erkenntnis des Herrn, wie das Wasser das Meer bedeckt" (Jesaja 11:1-10).

Ferner: Und ich will zu jener Zeit mit ihnen einen Bund schließen, mit den Tieren des Feldes, mit den Vögeln des Himmels und mit dem Gewürm der Erde und Bogen und Schwert und Krieg will ich wegbannen von der Erde und will sie friedlich wohnen lassen (Hosea 2:20).

Auch jeder Sprachenstreit soll in Zukunft aufhören, denn ich will einst, spricht der Herr, den Völkern eine reine Sprache geben, damit sie alle versöhnt den Namen des Ewigen anrufen und ihm dienen einträchtig (Zephanjah 3:9). Ein Geist des Friedens wird über die Welt walten, es wird jede Volkerbezwingung aufhören und ein Reich wird dem andern nicht mehr untertan sein (Berachoth 34b) und der Name des Welterlösers ist: Friede (Derach Erez).

An diesem Ideal hält das Judentum unentwegt fest und es glaubt heilig und vertrauensvoll an eine Zeit des ewigen Weltfriedens. Die aber, welche die Notwendigkeit des ewigen Kampfes für die Menschheit behaupten, denen jedes ideale Denken und Fühlen abhanden gekommen ist, werden einst von der Zukunft Lügen gestraft werden, denn die Menschheit hat eine Zukunft, in der das Herz, die Liebe, das Erbarmen, die Humanität, die Gerechtigkeit und die göttliche Vernunft siegen und triumphieren wird über das Tier, über die Bestie, über den Naturtrieb im Menschen. Wer die Augen nicht ganz verschließt, muß erkennen, daß die Welt diesem hohen Ziele stetig, wenn auch sehr langsam, zusteuert. Was ist ein Jahrtausend in der Geschichte der Menschenentwicklung? Ein Atom im Universum. Und siehe! In dieser kurzen Spanne Zeit ist das Sklaventum, eine Institution, die bei allen Völkern zu Rechtens bestanden hat, seit ewigen Zeiten und welche von denn Besten und Edelsten des Altertums gebilligt und gutgeheißen wurde, diese Einrichtung ist in kurzer Zeit aus allen Kulturreichen der Erde weggefegt worden und spurlos verschwunden. Wer hätte das je in der Vorzeit gedacht? Die Zeit des ewigen Friedens ist wohl nicht nahe, aber Anfänge, Versuche, Anläufe hierzu werden sichtbar, die Idee ist vorhanden, alle Menschenfreunde bekennen sich zu derselben. Sie bricht durch das düstere Gewölk, blitzt auf für den Moment am Völkerhorizont und wird bald wieder in Dunkel gehüllt, aber eine spätere Zukunft, ein späteres Geschlecht wird von ihren Strahlen erhellt und erwärmt werden, blühen und gedeihen, befreit und erlöst werden.

In dieser unserer festen Zuversicht lassen wir uns durch die Vorgänge unseres Zeitalters keineswegs irre machen. Im Gegenteil. Die Unduldsamkeit, der konfessionelle Hader, der Rassenkampf, die Verhetzung der Nationalitäten gegeneinander, die sozialen Umtriebe, der Geist der Mißgunst und der Scheelsucht, die jetzt täglich überhand nehmen und stetig in erschreckender Weise zunehmen, sie bestärken uns noch in unserem Glauben an eine Zeit des ewigen Friedens. Nach der düstern finstern Nacht bricht der helle Morgen an, und gerade diese Zustände verkünden die nahe Erlösung, denn zuerst muß der Höhepunkt der Zerrüttung und Zerklüftung erreicht werden, bis eine vollständige Heilung, bis der allgemeine Friede möglich wird. Nahe vor der Zeit der Erlösung, sagen unsere Weisen auch in diesem Sinne, wird die Frechheit stolz einherschreiten, die Völker werden in Gottlosigkeit versinken, die Wissenschaft wird geringgeschätzt, die Frommen verachtet, die Wahrheit verhöhnt werden. Jünglinge erheben sich über Greise, Große verehren die Verachteten, der Sohn erhebt sich gegen seinen Vater, die Tochter gegen die Mutter, die Hausleute hassen ihren Brotgeber, die Schamlosigkeit kennt keine Grenzen und schändet das Menschengeschlecht, bis endlich der himmlische Vater sich seiner Kinder erbarmt und die Friedenssonne in ihrem Strahlenglanze ihnen aufgehen läßt, die alle die bösen Schatten verscheucht, und Friede und Eintracht, Versöhnlichkeit und Liebe unter allen Bewohnern der Erde herstellt, und Licht und Aufklärung, Wahrheit und Erkenntnis, Freundschaft und Brüderlichkeit allenthalben verbreitet (Sota 48b).

Von dieser Hoffnung durchdrungen, blicken wir vertrauensvoll zu Gott empor und glauben in Bezug auf die Idee des ewigen Weltfriedens:

"Dein Anfang ist nur gering, aber dein Ende wird groß und erhaben sein."

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