Tolstois Gleichnis vom Kriege.
Die Quelle für diese Erzählung ist ein wenig bekannter Midrasch:
Es war einmal ein Wohltäter, der den Menschen so viel Gutes wie möglich erweisen wollte und darüber nachdachte, wie er es mache, niemanden zu beleidigen und jedem ausschließlich Vorteil zu gewähren. Verteilt man die Gaben unmittelbar von Hand zu Hand, so entzieht es sich der Beurteilung, wer deren würdiger ist, alle aber gleich zu behandeln ist nicht gut möglich und diejenigen, die leer ausgehen, werden sagen: "Warum hat er gerade jenen, uns aber nichts gegeben?"
Da handelte der Menschenfreund nach folgendem Plane: Er wählte einen Ort aus, an dem viele Menschen zusammen zu kommen pflegten und ließ dort ein erstklassiges Gasthaus errichten. In diesem Hause ließ er alles niederlegen, was dem Menschen irgendwie von Nutzen ist und ihm Befriedigung gewährt: warme Zimmer, gute Öfen, Holz, Beleuchtung, Speicher voller Brot aller Art, Kellergewölbe mit Obst, Tee, Zucker, Kwas, Äpfel, allerlei Imbiss, Betten, reichliche Kleidung, Wäsche, Schuhwerk - alles, wessen nur der Mensch bedarf. Und alles in solchem Maße, dass es für hundert und mehr Personen reiche. Und er dachte: Mögen sie, so lange es ihnen vonnöten ist, hier bleiben, essen, trinken und sich aneignen, was sie brauchen. Sobald der Vorrat ausgeht, werde ich neuen schaffen." Also machte er es und ging fort, um späterhin zu sehen, was geschehen würde.
Und da kehrten viele gute Leute in das Wirtshaus ein. Sie aßen, tranken, blieben über Nacht, auch ein bis zwei Tage oder eine ganze Woche. Ab und zu nahmen sie etwas von dem Schuhwerk oder von den Kleidungsstücken, soweit sie es nötig hatten, brachten dann das übrige in Ordnung, wie es vor ihrer Ankunft war, damit auch andere des Wegen Wandernde es benutzen und dann weiterreisen könnten. Und sie hatten nur eines im Sinne: dem unbekannten Wohltäter zu danken. So ging die Sache in aller Ordnung vor sich, so lange friedliebende, gewissenhafte Menschen einkehrten. Und der Wohltäter ergänzte alle Vorräte, die die Einkehrenden genommen hatten und freute sich darüber.
Da geschah es aber eines Tages, dass dreiste, freche und böse Menschen einkehrten. Die darin befindlichen sanften Leute jagten sie hinaus, sie selbst aber begannen sofort zu schmausen, sich zu vergnügen, rafften alles, was da war, an sich; und es entstand sofort unter ihnen ein furchtbarer Streit um das, was vorhanden war. Anfangs überhäuften sie einander mit Schmähreden, dann begannen sie sich zu prügeln; einer nahm dem anderen das fort, was er bei sich hatte; sie begannen aus Böswilligkeit die Gaben zu vergeuden, zu verderben, nur damit der andere nichts davon bekäme. Und sie brachten es soweit, dass weder ihnen noch den anderen irgend etwas zugute kam. Und als schon alles verdorben war und sie selbst zu frieren und zu hungern begannen und einer die Beleidigungen des anderen erdulden musste, fingen sie an, den Geber zu schmähen, warum er es so schlecht eingerichtet, keine Wächter angestellt, so wenig Vorräte beschafft und warum er allerlei böse Menschen zugelassen habe. Jeder dachte von sich, dass er der einzig gute, die anderen aber schlecht seien. Andere aber sagten, dass es gar keinen Wirt gebe, dass der Einkehrhof von selbst entstanden sei. Und so lebten diese Leute einen, zwei, drei Tage, und als schon nichts mehr von all den guten Sachen im Hotel war, gingen sie erbost aus dem Hause und waren nur darauf bedacht, einer auf den anderen zu schimpfen und den Einkehrhof, sowie den, der ihn erbaut, zu schmähen.
Dasselbe tun auch in der Welt die Menschen und Völker, wenn sie sich von der Güte und Liebe entfernen und nicht in Gott leben; sie richten sich und die anderen Menschen zugrunde, indem sie furchtbare Kriege gegeneinander führen und sie denken nicht daran, sich selbst Schuld zu geben, dass ihr Leben unglücklich ist, sondern schieben lügnerisch einer dem anderen die Schuld zu, manche aber auch beschuldigen Gott, weil er die Welt so schlecht eingerichtet habe, manche aber auch diese Welt selbst, die ebenso wie bei jenen das Gasthaus, ihrer Meinung nach von selbst entstanden sei. Die Menschen müssen aber einsehen, dass die Welt nicht von selbst entstanden ist, sondern dass sie der Wohltäter Gott zu ihrem Wohle erschaffen hat; sie müssen nur nicht das tun, was ihr Leben verdirbt und zugrunde richtet, so wird ihnen so viel Gutes daraus erwachsen, wie es nicht mehr vorhanden ist und nicht mehr vorhanden sein kann.
Diese Geschichte lässt sich auch als Parabel auf den Übergang des Jäger- und Sammlerdaseins unserer Vorfahren zu Ackerbau und Viehzucht lesen, der das Ende einer langen Periode ohne Konflikte, Krieg und Mangelernährung markierte.
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