Mittwoch, 27. Oktober 2010

Eine zionistische Missionsschrift

Leitartikel aus dem „Israelit“ vom 6. 12. 1897 zur antisemitischen Schrift des F. Hemann aus Basel: „Das Erwachen der jüdischen Nation. Der Weg zur endgültigen Lösung der Judenfrage“.

Es wurde schon sehr oft betont, daß die Juden bis auf unsere Tage hinab wenig religiösen Pflichten mit der gleichen Treue nachzukommen suchten, wie derjenigen, mit welcher sie Alle das Prophetenwort „und ihr sollt das Wohlergehen der Stadt fördern, wohin ich Euch vertrieben habe“, zu erfüllen suchten.

Selbst der judenfeindlichste Geschichtsforscher wird keine Thatsache aufspüren können, die Zeugnis ablegt gegen die Liebe der Juden zu den Ländern, die ihnen eine Heimath geworden. Der heldenmüthige Kampf der Juden Neapels gegen die Söldner Belisars, die verhängnisvolle Liebe zum grausamen Vaterlande, welche viele spanische Juden die Qualen und Gefahren der Marannen auf sich nehmen ließ, der Antheil der Juden an der Vertheidigung des von den Schweden belagerten Prag, bis zu den Heldenthaten unserer Glaubensgenossen in den meisten Feldzügen unseres Jahrhunderts, all' das legt lautes Zeugnis dafür ab, daß unsere politischen Bestrebungen keine anderen sind, als diejenigen der Völker, unter welchen wir wohnen, und mit welchen wir in politischer Beziehung uns eins fühlen. Wir sehnen uns nach der uns von Gott verheißenen Zurückführung nach Palästina, wissen aber, daß wir dieses mit Machtmitteln nicht herbeiführen können, und nicht herbeiführen dürfen. Wir haben deshalb, wenn wir unsere Kräfte zu Kampf und Vertheidigung regen, ebenso wie dann, wenn wir die Künste des Friedens üben, keine anderen Gefühle für das Vaterland, wie unsere Mitbürger, die demselben ihre Liebe und ihre Arbeit weihen. Erst die Verzweiflung über den allenthalben wieder auflebenden Judenhaß hat unbesonnenen, ungestümen und ehrgeizigen Männern die gefährliche Waffe des Zionismus in die Hand gedrückt, mit welcher sie den politischen Selbstmord verübten, das Judenthum aus einer Religion zum Träger unklarer Nationalitätsbestrebungen zu machen. Einen großen Theil des vergifteten Rüstzeugs, mit welchem unsere Feinde sich bemühten, uns aus der Mitte der Nation herauszudrängen, griffen sie auf, um damit wild um sich hauend in der Wuth der Verzweiflung ihren eigenen Stammesgenossen die schwersten Wunden zu schlagen. Die Antisemiten sahen das sinnlose Treiben und freuten sich darob. Gar mancher Missionär, der nachdenklich diese Selbstzerfleischung des Judenthums mitansah, wurde darauf aufmerksam, daß die nationalen Juden seinen Bestrebungen wohl weniger Widerstand entgegenstellen würden, als die religiösen. Da fand sich denn in Basel, der Stadt des Zionistenkongresses, wo der Eindruck dieses Treibens am lebhaftesten war, ein gescheiter Mann, der zugleich dem Antisemitismus und der Judenmission huldigte und schrieb ein Buch, worin er unter leichter Hülle seine beiden Herzenswünsche zu fördern suchte. Der Verfasser heißt Hemann und seinem Buch giebt er den Titel: „Das Erwachen der jüdischen Nation“. Und der Theil der jüdischen Nation, dem er das schmeichelhafte Lob gab, daß er erwacht sei, hatte noch soviel Schlaf in den Augen, daß er sich von der durchsichtigen Hülle täuschen ließ und dem Verfasser Beifall zollte. Das „Welt“blatt des Zionismus registrirt stolz das Werkchen unter seinen Erfolgen. Bis jetzt vermieden es die Missionäre in ihren Traktätchen irgendwelchen Antisemitismus zu zeigen. Der Zionismus hat es einem dieser Herren ermöglicht seine verborgensten judenfeindlichen Gesinnungen ans Tageslicht zu bringen und zugleich hoffen zu dürfen, dabei nicht unbelohnt auf Seelenfang auszugehen. Das Buch besteht aus sechs Kapiteln, von denen die mittleren die glorreichen Reden des Zionistenkongresses von der Unüberbrückbarkeit der Kluft zwischen den Juden und ihren Gastvölkern, von der Thorheit der Emancipation und dem Egoismus der Protestrabbinen recht schön antisemitisch vertieft wiedergeben. Was ein Nordau in einer Judenversammlung unbeanstandet vorbringen durfte, kann man ja einem Professor der christlichen Theologie nicht verübeln. Neu schien uns inmitten dieses verschleierten Antisemitismus der Vorwurf für die den Zionismus bekämpfenden Rabbiner, daß sie in den Bahnen jener alten Rabbinen wandelten, welche 40 Jahre vor der Zerstörung des zweiten Tempels gegen die Stifter des Christenthums feindlich aufgetreten seien. Das erste und letzte Kapitel lehrt uns, wie der Verfasser sich die Verwirklichung der zionistischen Bestrebung denkt und wie er sie seinen Zwecken dienstbar zu machen sucht. Mit dürren Worten wollen wir hier wiedergeben, was dort in schöner, gewinnender Rede gesagt ist.

Es gibt ein Mittel den Juden am Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Gleichberechtigung zu nehmen, ohne daß man vor den Augen der gesitteten Welt allzusehr als Barbar erscheint. Man gibt den Juden gnädig unter einer Reihe von Bedingungen Palästina, das sie mit Gefühlen ewiger Dankbarkeit gegen die Völker und Regierungen entgegennehmen. In politischer Beziehung wird das Judenland eine Art Pufferstaat, wie die Schweiz, jedoch nicht mit der Unabhängigkeit derselben, sondern ein Staat, der nie vergessen darf, daß er sein Dasein nur der Gnade verdankt und der in das Nichts zurücksinkt, sobald er sich nicht des Wohlwollens seiner vielen Europäischen Pathen würdig zeigt. Der Professor, der doch nicht alle Tollheiten der Zionisten mitmachen kann, ist vernünftig genug einzusehen, daß im Laufe der Zeit doch nicht viel mehr als eine Million Juden, die sich größtentheils aus Rußland rekrutirt, nach Palästina wandern wird. Und was wird aus der großen Menge der Zurückbleibenden? Bei Beantwortung dieser Frage, deren gefundene Lösung ihm hauptsächlich die Feder in die Hand gedrückt zu haben scheint, offenbart sich die edle Gesinnung des Verfassers gegen uns. Hören wir ihn selbst.

„Die einzige Lösung ist, daß man den Juden ihr altes Heimatland giebt. So lange sie kein eigenes Heimatland haben, ist der Staat, in dem sie geboren sind, moralisch und völkerrechtlich verpflichtet, sie zu vollbürtigen Bürgern anzunehmen und als solche zu behandeln. Der Staat hat weder das Recht noch irgend einen anderen Grund, die Juden nur als Bürger zweiter Klasse mit beschränkten Rechten zu behandeln. Sie tragen alle Bürgerpflichten, da sollen sie auch alle Bürgerrechte und Ehrenrechte haben, die sie sich erwerben können. Die heimliche Zurücksetzung der Juden, wie sie jetzt üblich ist, ist weder moralisch noch juristisch gerechtfertigt, obwohl, vom deutschnationalen Standpunkt aus betrachtet, vollkommen begreiflich und ein Akt nationaler Nothwehr, und Noth kennt kein Gebot. Das sind Mißstände, die beiden Theilen, den Juden und den Deutschen, Anlaß und Grund zu beständigen Klagen, Anschuldigungen und heimlichen und offenem Groll geben, aber diese Mißstände sind nicht zu beseitigen unter den gegenwärtigen Verhältnissen, da die Juden keine andre Heimath als ihr jeweiliges Geburtsland haben.

Das wird aber anders, wenn sie in Palästina einen wohlgeordneten, eigenen und selbstständigen Staat bilden. Dann wird man in Deutschland die Judenfrage gründlich und schiedlich, friedlich ordnen können, ohne irgend jemand Unrecht zu thun, oder ungerecht zu bedrücken. Dann kann man auf einen Tag die Juden vor die Option stellen mit der Frage: Wollt ihr Juden sein, Bürger Palästinas? Dann werdet ihr nur die Rechte und Pflichten von Ausländischen, Niedergelassenen bei uns haben und eure Konsuln werden darüber wachen, daß ihr in keinem dieser Rechte gekränkt werdet. Ober wollt ihr ganze volle Deutsche sein? Dann werdet ihr die Beschneidung, das unauslöschliche Merkmal des jüdischen Stammes und der jüdischen Nationalität aufgeben: desgleichen die Speiseverbote, welche euch mit Deutschen zu essen und zu trinken verbieten; desgleichen werdet ihr euch mit den deutschen Toden in gleicher Reihe und nicht an gesonderten Stätten begraben lassen müssen; dann müßt ihr auch den Sabbat aufgeben, der euch hindert, mit den Deutschen zu arbeiten und zu ruhen. Dann sollt ihr aller deutschen Ehren und Ehrenstellen, falls ihr euch würdig zeigt, theilhaftig sein, und dann werdet ihr allmählich euer jüdisches Naturell und Temperament, eure jüdische Körper-Konstitution und Physiognomie verlieren und in der deutschen Rasse aufgehen, und dann seid ihr Deutsche, gegen die wir keine Antipathie mehr hegen. Das wird eine gründliche, zwanglose Lösung der Judenfrage sein, denn es wird in jedes Juden freiem Willen gelegen sein, für das Judenthum und die jüdische Nationalität, oder für das Deutschthum und die deutsche Nationalität zu optieren. Nur die inkonsequenten deutschthümelnden und doch jüdisch organisirten Rabbiner werden aufschreien und sagen, das involviere Religionszwang; sie wollten beschnittene Deutsche sein und wenigstens noch den Sabbat behalten, denn das zum mindesten verlange ihre jüdische Konfession (Religion haben sie eigentlich schon nicht mehr, nur Konfession). Aber man wird ihnen mit vollem Recht erwidern, daß beschnittene Deutsche eben keine ganze und volle Deutschen seien und es sich gefallen lassen müßten, auch in ihren socialen und politischen Rechten beschnitten zu werden, da ihnen ja die Wahl freistehe, volle und ganze Juden zu sein – und sie werden sich für ihre angeborene jüdische Nationalität, wenn auch etwas ungern, entscheiden.“


Also der kurze Sinn dieses edelmüthigen Vorschlags, der in dem Büchlein immer wiederkehrt und verschiedentlich beleuchtet wird, ist folgender: Man werfe den Juden den Brocken Palästina hin und erhält dafür das Recht, sie entweder zum Aufgeben ihrer Religion zu zwingen oder sie unter das Fremdenrecht zu stellen. Aus Vollbürgern macht man sie zu geduldeten Fremdlingen, die man, sobald sie sich irgendwie mißliebig machen, verjagen kann und die selbstverständlich keinerlei staatsbürgerliche Rechte haben. Um durch ein Analogon plausibel zu machen, daß man Bürger eines Staates werden kann, den man noch nie betreten hat und nie betreten wird, greift der Verfasser auf das römische Bürgerrecht im altrömischen Weltreich zurück und verschweigt natürlich, daß dieses Bürgerrecht der Hauptstadt desselben Staates den damit Bedachten nur außergewöhnliche Vortheile und Ehrungen, jedoch keinerlei Nachtheil brächte. Wer soweit dem Verfasser gefolgt ist, der hält es wohl für selbstredend, daß den Juden in Palästina selbst wenigstens das Recht der ungeschmälerten Ausübung ihrer Religion gewahrt bleibt. Doch weit gefehlt, gegen die Überlassung Palästina's an Juden sträubt sich der christliche Sinn unseres Beglückers. Die jüdische Religion muß sich der christlichen accomodiren, es muß eine „entente cordiale zwischen beiden Religionen“ entstehen.

„Man hat oft genug leider die Rassenantipathie und Nationalitätsgegensätze auch auf das religiöse Gebiet übertragen und so sie Kluft zwischen beiden Religionen und Religionsangehörigen immer mehr vertieft und verbreitert. Wenn die ursprüngliche Verwandtschaft beider Religionen erkannt und anerkannt und damit ein freundlicheres Verhältniß auf religiösem Gebiete hergestellt würde, so ist gewiß, daß dann auch die Rassendifferenz und nationale Antipathie gemildert und in ihren Reibungen paralysiert würde. Jawohl, Judenthum und Christenthum sind Mutter und Tochter: aber wenn die Mutter aus langem Schlaf und schwerer Ohnmacht erwacht und durch die von der Tochter producierte Kultur sich selbst verjüngen will, um mit der Tochter und ihren Kindern in gleicher Reihe zu treten, so wird natürlicherweise dieser Verjüngungsprozeß zu einer gewissen Verähnlichung und Ähnlichkeit mit der Tochter führen; das bringt das ursprüngliche Verwandtschaftsverhältnis beider mit sich. Der Freisinnigkeit des Zionismus trauen wir es zu, das richtige Verhältniß zwischen beiden Religionen herauszufinden und praktisch durchzuführen. Wir wünschen also eine Correktur der Anschauungen der Juden betreffs des Christenthums und ein demgemäßes praktisches Verhalten, an Sympathie von Seiten der Christen wird es dann gewiß nicht fehlen und alle wirklichen Christen, die nicht bloß Namenchristen sind, werden ihnen dann den Besitz Palästinas gönnen, ungeschmälert und ganz, weil bei gegenseitigem Freundschaftsverhältniß die christlichen Interessen keine Schädigung erleiden würden.“

Wie das gemacht werden soll, „auf diese Haupt- und Cardinalfrage“ will der Herr Professor jetzt nicht näher eingehen. Noch deutlicher kann er füglich seine Missionsbestrebungen beim ersten Anlauf nicht zeigen. Doch wir wissen schon genug und können jedem Denkenden, der sich von den großen Gefahren des Zionismus noch nicht überzeugt hält, die Lektüre dieser von den Zionisten freudig begrüßten, Judenhaß athmenden Broschüre angelegentlichst empfehlen.

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