Montag, 1. März 2010

Brief an Frau Topcu, Redakteurin der Frankfurter Rundschau vom 15. Februar in der Sache Imam Türkyilmaz

Sehr geehrte Frau Topcu,

als orthodoxer Jude habe ich mit Verwunderung und gleichermaßen mit tiefer Sorge in den letzten Tagen Ihre Artikel in der FR bezüglich des Imam der Frankfurter Hazrat-Fatima-Gemeinde, Herrn Sebahattin Türkyilmaz, verfolgt.

Erlauben Sie mir deshalb, dass ich sozusagen gleich "mit der Tür ins Haus falle" und Ihnen die Frage stelle, wessen Geschäft Sie da betreiben, wenn Sie mittlerweile sogar soweit gehen und den Sprachgebrauch pro-zionistischer Kreise bezogen auf die Al-Quds-Demonstrationen benutzen und reißerisch mit "Antisemitische Demonstration" titeln?


Welche Gesinnung steckt hinter dieser Schmutzkampagne gegen einen muslimischen Geistlichen, den man offenbar unter Ihrer Federführung zur "Persona non grata" deklassieren und aus dem "Frankfurter Stadtbild" entfernen will? Was umtreibt Sie, dass Sie solch einen publizistischen "Schauprozess", solch eine Treibjagd, mit Ihrer Feder führen und einen respektablen Mann Ihrer eigenen Religion öffentlich an den Pranger stellen und zu kriminalisieren beabsichtigen? Sucht die altehrwürdige und liberale FR etwa neue Leser im Spektrum der "Anti-Islamisten", bei "antideutschen" Schlägertrupps, am rechten Rand der Gesellschaft oder anderen Feinden der jüdischen Religion?

Ich stelle Ihnen derlei Fragen nicht zuletzt deshalb, weil ich im letzten Jahr gemeinsam mit anderen Thora-treuen Juden ebenfalls an dieser Demonstration in Berlin teilgenommen habe und ihnen schon alleine deswegen versichern kann, dass diese Veranstaltung an keiner Stelle, weder in ihrer Vorbereitung, noch in der Durchführung und vor allem auch nicht während ihres Ablaufs in irgend einer Weise antisemitische Züge enthielt. Sicher kann ich nicht dafür garantieren, dass nicht vielleicht auch ein Antisemit unter den Demonstranten gewesen sein könnte, so wenig wie man sicherstellen kann, dass bei einem Protest gegen Sozialabbau ein moderner Freund des Massenmörders Hitler auf der einen Seite oder einer des Massenmörders Stalin auf der anderen Seite mit marschieren könnte.

Einerlei: Sie vermitteln Ihren Lesern jedenfalls ein Bild der Unwahrheit und Einseitigkeit, wenn Sie von "antisemitischer Demonstration" schreiben und werden damit weder Ihrer Aufklärungspflicht gerecht, noch einer objektiven Berichterstattung, denn die Al-Quds-Demonstration vergangenes Jahr in Berlin stand auch unter dem Motto: "Gemeinsam gegen Antisemitismus und Zionismus" und dies war auf Transparenten auch zu lesen.

Dass fromme Juden gemeinsam mit Muslimen gegen den zionistischen Staat und seine Verbrechen demonstrieren ist für deutsche Verhältnisse sicherlich ungewöhnlich, weil es nicht in das verzerrte, entstellte und verlogene Feindbild zionistischer Denkweise und Hasspropaganda passt.

Deshalb will ich Ihnen kurz etwas erklären, sofern Sie erlauben: Die jüdische Religion und die Heilige Thora des jüdischen Volkes sowie alle Weisen und Gelehrten vor, während und nach den beiden Weltkriegen sind bzw. waren gegen die Errichtung eines sogenannten "Juden-Staates" und bekämpften die Idee des Zionismus von Anbeginn an. Dies ist anhand unzähliger Schriften, Kommentare und Artikel seitens unserer rabbinischen Führer ohne weiteres und klar nachzuweisen. Die nationalistische Ideologie des Zionismus ist eine der jüdischen Religion fremde und entgegengesetzte Erscheinung, die gerade einmal etwas mehr als 100 Jahre alt ist, während die jüdische Religion Tausende von Jahren hinter sich hat.

Wenn Sie aber der Ansicht sind, dass Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen ist und damit wiederum der Verballhornung zionistischer Propaganda aufgesessen sind, müssten unsere Gelehrten und Weisen der letzten 100 Jahre alle ziemlich große "Antisemiten" gewesen sein, ja müsste selbst der Talmud in wesentlichen Teilen ein "antisemitisches" Werk sein. Und dies würden Sie doch niemals ernsthaft behaupten wollen, setze ich wenigstens voraus!

Dass Sie mit dem Judentum nicht vertraut sind, von daher nicht differenzieren und beurteilen können, was tatsächlich Kern und Weg dieser ältesten monotheistischen Religion und unserer Vorväter seit nahezu 2000 Jahren ihres Exil ist, will ich Ihnen sicherlich nicht vorwerfen, weil Sie bislang offensichtlich mit einer - nennen wir es einmal - sehr einseitigen Sichtweise der Dinge konfrontiert und dementsprechend erzogen worden sind. Doch Unwissenheit spricht einem bekanntlich auch dann nicht von Verantwortung frei, die man zu übernehmen hat, wenn man einen schwerwiegenden inhaltlichen Fehler begeht. Genau den haben Sie hier im "Falle des Imam von Frankfurt" begangen.

Sie erweisen sich darüber hinaus nicht als jemand, der uns Juden wirklich einen "Gefallen" erweist, denn durch derlei provokative und falsche Berichterstattung und Kommentierung entsteht doch der Eindruck, als ob wir ein Interesse daran haben könnten, dass das friedliche Miteinander zwischen Juden und Muslimen in Deutschland von uns Thora-Juden nicht gewollt sei. Ist doch das Gegenteil der Fall! Wir sind nicht nur aufgrund unserer Thora dazu gehalten, mit allen Völkern und Menschen in den Ländern, in denen wir leben, friedlich und in respektvollem Einklang zu leben, sondern dies ist für uns zugleich auch die Garantie dafür, dass wir selbst uns weiterhin auf die schützende Hand unseres Gottes verlassen können. Jeder, der - sozusagen von innen heraus - diese Thora-Pflicht mutwillig-zerstörerisch infrage stellt, gilt uns als Verfolger und Verräter. Der Außenstehende, der uns gedankenlos oder aus Eigeninteresse ins falsche Licht rückt und uns damit möglichen Gefahren aussetzt, muss sich in der Tat früher oder später die Frage gefallen lassen, ob er nicht zumindest in der Tendenz genau das sein könnte, was er in seiner voreiligen Naivität oder wegen seines vorauseilenden Gehorsams gegenüber einer "neuen Staatsräson" wiederum Dritten vorwirft.

Von jenen Grüppchen und gewalttätigen Sektierern aus dem "antideutschen" Lager, sozialistisch-zionistischen Jugendgruppen, Stop-the-Bomb-Kriegstreibern und ihren diversen Frontberichterstattern, mit denen ich Sie auf keinen Fall in einen Topf geworfen haben will, erst überhaupt nicht zu reden. Diese bringen das jüdische Volk der Thora tatsächlich - offenbar bewusst, gezielt und gesteuert - nicht zuletzt auch in erhebliche Gefahren für Leib und Leben.

Denken Sie nicht auch - und diese Frage erlauben Sie mir bitte abschließend -, dass Sie mit derlei Treibjagden gegen einen unbescholtenen Imam die wirklichen Antisemiten der Vergangenheit nicht nur nachträglich verharmlosen, sondern die jetzigen und die künftigen zu einer nicht ernstzunehmenden Gefahr herunterspielen? Der inflationäre Gebrauch dieses Begriffes soll doch nur den Feinden der jüdischen Religion, in erster Linie der zionistischen Sekte und ihren Helfershelfern, dabei behilflich sein, Kritikern des zionistischen und menschenverachtenden Regimes in Palästina einen Maulkorb zu verpassen und zu diffamieren. Nur darum geht es denen, nicht um den Schutz des Judentums und auch nicht um die Sicherheit von Juden. Im Gegenteil, ist doch der wahre Antisemitismus nicht nur das große geistige Vorbild des Zionismus, sondern benötigen und ergänzen sie sich doch gegenseitig.

In der Vergangenheit waren es unsere Rabbiner, die in und von Deutschland verfolgt wurden. Heute ist es ein Imam, den man kurzerhand zum "Antisemiten" erklärt. Sind es bereits schon morgen wieder unsere Rabbiner und deren Schriften, weil sie es wagen, den Zionismus und seinen Staat abzulehnen? Ich befürchte Schlimmes für mein deutsches Vaterland!

Hochachtungsvoll!

Reuven J. Cabelman

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